Commons statt Markt-Staat - Mit der Pandemie alte Denkmuster überwinden

Analyse

Der Corona-Krisenalltag führte uns im Zeitraffer vor, in welches Dilemma das Markt-Staat-Denken führt. Hier kommen Commons ins Spiel, also das, was Menschen miteinander selbstbestimmt, selbstorganisiert, bedürfnisorientiert und ohne Vermarktungsinteresse tun und zu tun in der Lage sind.

Auftakt

Wäre dieser Beitrag eine Sonate, dann mit folgendem Grundton: aus Unterscheidung und Verbindung entsteht ein gutes Stück, aus Trennung und Isolation wird Katzenmusik. In Coronazeiten wird das am vielzitierten „social distancing“ deutlich. Wir sollen „sozialen Abstand nehmen“, heißt es. Dabei brauchen wir während einer Pandemie körperlichen Abstand und soziale Nähe, um physisch und mental gesund zu bleiben. Wenn das Augenmerk nur auf dem Abstand und nicht zugleich auf der Nähe liegt, – auf der Pflege der vielfältigen Beziehungen, die uns tragen – geraten nicht nur wichtige Handlungsoptionen, sondern auch entscheidende Akteure aus dem Blick. Philosophisch betrachtet zeigt sich im Trennen und isolierten Betrachten von Phänomenen – als Modus des Verstehens und Seins, dass etwas Elementares nicht begriffen wurde: in realweltlichen sozialen Prozessen geschieht alles aus Beziehungen heraus und durch Beziehungen hindurch, meist aus gegenseitigen Abhängigkeitsbeziehungen, den Interdependenzen. Natürlich können wir das Eine vom Anderen, das Ich vom Du unterscheiden, und doch ist es irreführend, das Ich ohne das Du zu denken, so als sei beides voneinander getrennt. Es ist irreführend, weil wir voneinander abhängig sind, weil wir an-einander und durch-einander zu dem werden, was wir als Ich erleben und verstehen. Uns Menschen entspricht es nicht, „vereinzelte Einzelne“ zu sein. Dies gilt für unser Selbstverständnis genauso wie für unsere Beziehungen zur belebten und unbelebten Welt.

Exposition

Markt-Staat by design

Dass Unterscheidung wichtig ist, Trennung jedoch naiv, zeigt sich auch an der allgegenwärtigen Denkfigur von Markt versus Staat. Sie werden als zwei verschiedene Entitäten angesehen, die miteinander ringen und bestenfalls – wie auf einer Wippe – ein „Gleichgewicht“ suchen. Dabei wiegt je nach politischem System, Wirtschaftsmodell oder augenblicklicher Lage mal „der Staat“ schwerer und mal „der Markt“. Während der Corona-Krise hat der Staat in fast allen Ländern der Erde schlagartig und mächtig an Gewicht zugelegt. Diese Krise zeige, wie viele Krisen zuvor, dass „jede Gesellschaft einen handlungsfähigen und kompetenten Staat braucht“, schreibt etwa der keynesianische Ökonom und ehemalige Chef-Volkswirt der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD), Heiner Flassbeck. Tatsächlich wird es nach den wirtschaftspolitischen Maßnahmen des Jahres 2020 schwieriger sein, dieser Erkenntnis entgegenzutreten, doch auch  in diesem Statement gelingt kein Absprung von der Fixierung auf zwei mächtige Institutionen: Markt und Staat. 

Im Frühjahr 2020 ließ der (deutsche) Staat „den Markt“ einen als überdehnt empfundenen Moment am oberen Ende der Wippe in der Schwebe, was sogleich zu großer Nervosität führte, obwohl der Schwebezustand nur kurz anhielt. Bereits eine Woche nach dem Lockdown, am 24. März 2020, äußerte sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier zu den historisch beispiellosen Hilfspaketen von fast eineinhalb Billionen Euro zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen. Er begründete die eilige Verabschiedung unter anderem damit, dass „viele Unternehmen schon nächste Woche Löhne zahlen müssen“. Daher „drängt die Zeit“, so Altmaier in der Pressekonferenz dieses Tages.[1] Die Inhaberin eines kleinen Ladens für allerlei Nützliches in meiner Heimatstadt meinte indes zum selben Zeitpunkt, dass das Geld in einem Unternehmen doch zwei Monate reichen müsse, sonst sei das Problem vielleicht nicht nur Folge der Krise.

Ein Grund für Altmaiers Eile liegt in der engen Verknüpfung zwischen diesen beiden Institutionen: Staat und Markt. Sie ist der Schlüssel zum Verständnis vieler Phänomene, die wir mit und ohne Corona-Krise erleben: Unser Staatswesen und die Staatsmacht sind nicht nur vom Wohl und Wehe der Marktwirtschaft abhängig. Sie sind ihr ausgeliefert. Dabei geht die allgegenwärtige Rahmung der Diskussion als ‚Markt oder Staat‘ (die Einen plädieren gebetsmühlenartig für mehr Markt, die anderen routiniert für mehr Staat) an der Tatsache vorbei, dass es sich um einen Markt-Staat by design handelt. Nicht nur der Staat ist vom Markt, auch der Markt[2] ist existentiell vom Staat abhängig. Die Krise trifft daher sowohl das ökonomische als auch das politische System ins Mark. Dieser Umstand macht es so schwer, über Markt und Staat hinauszudenken, obwohl gerade das in der Krise beider Systeme Not tut.

Natürlich sind Markt und Staat nicht einfach über einen Kamm zu scheren. So haben staatliche Institutionen die Möglichkeit, sich über Konkurrenz- und Gewinnmaximierungsprinzipien hinwegzusetzen, auch das zeigt die Krise. Es bleibt daher wichtig, Markt und Staat voneinander zu unterscheiden, sie aber als ‚voneinander getrennt‘ zu denken ist naiv. In Krisenzeiten offenbart sich die hier skizzierte existentielle Abhängigkeit im Handumdrehen. Daher verwundert es nicht, dass sich zu den ersten vorsichtigen Lockerungen Mitte April 2020 nur eine bemerkenswerte bundesweite Ausnahme gesellte: die Öffnung der Autohäuser. Die Politik hat schlicht das wohl wichtigste Symbol des Industriestandorts Deutschland bevorzugt. Das lässt sich nicht allein mit der Lobbykraft der Autobranche erklären, es steht auch sinnbildlich für die weitreichende konzeptionelle Blindheit des Mark-Staats. Steuerungs-, Governance- und Produktionsformen, die Wege aus der gegenseitigen Abhängigkeit weisen, stehen nicht auf der Tagesordnung. Stattdessen sind die Grundmuster (national-)staatlichen Handelns fast weltweit unschwer als marktbasiert und marktdominant identifizierbar, ganz gleich, ob Anreize für das Verhalten von Bürgerinnen und Bürger gesetzt oder Institutionen aufgebaut, ausgestattet und verwaltet werden. In Krisenzeiten tritt dies nur deutlicher ins öffentliche Bewusstsein. Beispielsweise erwiesen sich die Gesundheitssysteme in Ländern, wo sie marktwirtschaftlich funktionierten (USA) oder in diese Richtung umgebaut wurden (Italien), als geradezu tödlich krisenuntauglich.

Der Corona-Krisenalltag führte uns im Zeitraffer vor, in welches Dilemma das Markt-Staat-Denken führt: Die Wirtschaft wird „heruntergefahren“ (die Natur bekommt eine Atempause). Wir brauchen weniger Geld (worüber bemerkenswerterweise keine öffentliche Debatte stattfindet), wir fliegen weniger, wir verbrauchen weniger Benzin und kaufen weniger ein. Und eben dieses ‚kein Geld brauchen‘, ‚nicht mehr fliegen‘ und ‚weniger einkaufen‘, tritt uns umgehend als Katastrophe gegenüber, die es zu bekämpfen, zu überbrücken, zu vermeiden gilt. Erneut hat man über Abwrackprämien für noch funktionstüchtige Autos nachgedacht. Alles wird darauf ausgerichtet, den Konsum – respektive die Konjunktur – anzukurbeln. Kaum fragen wir uns im heruntergefahrenen Modus „Brauch ich das wirklich?“[3], erweist sich die Überlegung als „systemgefährdend“[4]. Selbst Bündnis90/Die Grünen forderte 250-Euro-Einkaufsgutscheine für alle. Ein Autorinnentrio der ZEIT bringt das Dilemma auf den Punkt: „Hauptsache es wird konsumiert. Und wenn nicht, dann steht alles auf dem Spiel, was in einer entwickelten Wirtschaftsnation an dieser Wertschöpfung hängt: Löhne, Steuereinnahmen, Sozialkassen.“ Mitte Mai erfährt die deutsche Öffentlichkeit erste Prognosen: die Steuereinnahmen werden 2020 um fast 100 Milliarden Euro sinken.

Das Problem ist also ein Doppeltes: Zum einen ist unser Wirtschaftssystem so beschaffen, dass trotz üppiger gesamtwirtschaftlicher Ausstattung Katastrophe und Kollaps imaginiert werden, sobald wir nur zwei bis drei Monate die Energie drosseln, ausruhen, Pause machen, durchatmen, nichts tun, von Vorräten leben, teilen und abspecken. Und das in einer der reichsten Industrienationen der Welt, in der die Bedürfnisse der meisten Menschen erfüllt sind oder durch Umverteilung rasch erfüllt werden können. Nach wenigen Monaten Corona-Krise ist vom „Wiederaufbau“ die Rede, als hätten wir gerade einen Krieg überlebt.

Zum anderen ist unser Staatswesen so aufgebaut, dass alles, was wir als Staatsaufgabe betrachten, davon abhängt dass – gerade in der Güterproduktion[5] – niemand ausruht, Pause macht, durchatmet und für eine Weile nichts tut, selbst wenn Verstand und Zustand der Umwelt dies gebieten. Daher gerät zur Staatsaufgabe, entweder den Konsum anzukurbeln, damit die Konjunktur wieder anspringt oder die Konjunktur anzukurbeln, damit der Konsum wieder anspringt. Dreht sich das Rad nicht weiter, droht Systemkollaps; ein mehr als kurzfristiges „herunterfahren“ scheint undenkbar. Und genau da liegt ein Fehler im Design. Neu ist er nicht, nur offensichtlicher angesichts der Tatsache, dass die nächste Pandemie ganz sicher kommt oder dass es notwendig wäre, die CO2 Emissionen langfristig zu senken.

Ähnlich wie in der Geschichte vom Ulmer Spatz, in der die Ulmer von einem Vogel lernen müssen, den Balken längs statt quer durchs Stadttor zu tragen, ist diesem Designfehler nur durch outside-the-box Denken zu begegnen; jenseits von Markt und Staat, jenseits eingeschliffener Konzepte klassischer und neoklassischer Ökonomie sowie jenseits „imperialer Lebensweisen“[6] (Brand/Wissen 2017). Hier kommen Commons ins Spiel, also das, was Menschen miteinander selbstbestimmt, selbstorganisiert, bedürfnisorientiert und ohne Vermarktungsinteresse tun und zu tun in der Lage sind. Commons sind – so viel sei vorweggenommen – multifunktional, eignen sich aber kaum als verheißungsvolle Steuereinnahmequelle. Vermutlich trägt das dazu bei, dass sie zwar überall und dennoch weithin unsichtbar sind.

Commoning in pandemischen Zeiten

Wer Commons mit Caritas verwechselt, auf reinen Altruismus, sporadische Nachbarschaftshilfe oder bedingungsloses Geben verkürzt, übersieht die in ihnen steckende transformatorische Kraft. Wer sie vorwiegend oder fast ausschließlich als historische Rechtsform, als Projekt, Initiative oder Gemeinschaft denkt, wird kaum erfassen, dass in diesem Konzept ein Schlüssel zum Umgang mit Krisen und den Designfehlern des Markt-Staat-Denkens liegt.

In der jüngeren Commons-Literatur wird der dem US-amerikanischen Historiker Peter Linebaugh zugeschriebene Satz „There is no commons without commoning[7]“ häufig zitiert. Er drückt aus, dass es im Kern nicht um ein Substantiv (Commons) geht, sondern um ein Tun, (und damit ein Verb) commoning . Es geht demnach um Praktiken, die das Gemeinsame herstellen und deren Handlungsmuster sich von jenen unterscheiden, die wir im Markt-Staat für selbstverständlich halten. Praktiken des Gemeinsamen sind fast überall auf der Welt lebens- und in Krisenzeiten sogar überlebenswichtig, wie die Kulturhistorikerin Rebecca Solnit in Paradise Built in Hell (2009) eindrücklich beschreibt. Sie sind nicht nur älter als die kapitalistische Marktwirtschaft, sie werden auch die moderne Nationalstaatlichkeit überdauern.

Trotzdem finden diese Praktiken des Gemeinsamen weder Eingang in die mediale Berichterstattung – wenn doch, dann im Ton der Barmherzigkeit, im Modus der Nachbarschaftshilfe oder als nette Story am Rande – noch erkennen Entscheidungsträgerinnen und -träger, dass sich damit eine Tür öffnet, die es erlaubt, aus der Umklammerung des Markt-Staats herauszutreten. Es ist eine Art Lockdown des Denkens, der Commons samt der Akteure, die sie ins Werk setzen, aus der Wahrnehmung schiebt. Infolgedessen wird die Kraft der Selbstorganisation weder thematisiert noch systematisch gefördert. Dabei hat sie sich auch während der Pandemie entfaltet; etwa in Hongkong, wo 7 Millionen Menschen dicht gedrängt und ohne nennenswerte Ausweichflächen leben. Die Menschen haben den Infektionsschutz in kritischer Vorwegnahme überfälligen Regierungshandelns selbst in die Hand genommen.

Zugegeben, die Bedingungen waren günstig. So waren aus Anlass der Proteste gegen die Regierung Carrie Lam bereits 2019 wichtige Kommunikationsplattformen aufgebaut worden. Zudem konnte die Bevölkerung ihre Erfahrung und Erinnerung an den SARS-Ausbruch 2002/2003 aktivieren. Diese Bedingungen waren allerdings nicht günstiger als die Verbreitungsbedingungen für die Infektion selbst: die große Enge, die Hochgeschwindigkeitsbahn sowie mehrere Flugverbindungen täglich nach Wuhan, die Einreise von mehr als 2,5 Millionen Menschen von Festlandchina nach Hongkong allein im Januar 2020 sind nur einige Faktoren. Noch am selben Tag, als in der Stadt die erste Infektion gemeldet wurde, setzte das bis dahin im politischen Protest engagierte Team von Bürgerinnen und Bürgern eine neue Website auf, um Fälle nachzuverfolgen, Hotspots der Verbreitung zu identifizieren und Nachrichten mit mehreren Quellen abzugleichen. In kürzester Zeit haben sich die Menschen in Hongkong nahezu flächendeckend mit Masken ausgestattet und damit nebenbei das im Zuge der Proteste verhängte Vermummungsverbot der Regierung herausgefordert. Maskenfreiwilligkeit statt Maskenpflicht. Das Ergebnis beeindruckt: bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Beitrags sind kaum Neuinfektionen zu verzeichnen[8].

Auch in Brasilien erwies es sich als sinnvoll, jenseits von Markt und Staat zu agieren. Die Regierung unter dem rechtsextremen Jair Bolsonaro hatte entschieden, die heraufziehende Gesundheitskatastrophe zu ignorieren und als gripezinha, als „kleine Grippe“ zu bezeichnen. Da Schutzmasken in ausreichender Stückzahl nicht zu bekommen waren, setzte sich ein Arzt mit der traditionellen Sambaschule Padre Miguel in einer der Favelas von Rio de Janeiro in Verbindung. Dort ratterten fortan die Nähmaschinen zur Produktion von Schutzkleidung statt von Karnevalskostümen. In den USA entstand mit School Closures ein Netzwerk, in dem über 150 Menschen und mehr als 80 Organisationen mit Fachkenntnissen im Bildungsbereich und der Sozialarbeit ihre Kräfte bündelten, um Eltern und Kinder in der Betreuung und Beschulung zu Hause zu unterstützen. Die globale Initiative der Wissenschaftscommunity CrowdfightCovid10 ist angetreten, Wissen und Werkzeuge im Kampf gegen COVID-19 weiterzugeben.

Warum tun die Menschen so etwas? Weil es notwendig und sinnvoll ist. Weil sie es können. Weil mit Marktlogik solchen Krisen nicht begegnet werden kann. Weil (einige) Regierungen versagen. Vor allem aber, weil es das ist, was Menschen gewöhnlich tun. Praktiken des Gemeinsamen sind kultur- und epochenübergreifende Selbstverständlichkeiten.

In Italien machte die Kooperative Barikama von sich reden, die 2011 in einem Akt der Befreiung aus unwürdigen Arbeitsbedingungen der migrantischen Tagelöhner und Saisonarbeiterinnen im Obst- und Gemüseanbau entstanden war. Barikama kommt aus dem Bambara und bedeutet Stärke oder Widerstand. Die jungen Menschen aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern haben nach den Ereignissen von Rosarno beschlossen, Gemüse und Joghurt selbstbestimmt zu produzieren. Im Frühjahr 2020 halfen sie dabei, die Versorgung der Römerinnen und Römer sicherzustellen, deren Bewegungsfreiheit eingeschränkt war. Versorgungssicherheit – genauer gesagt Ernährungssouveränität – ist auch ein wichtiges Thema in Venezuela. Dort wird der seit mehr als einem halben Jahrhundert existierende Kooperativenverbund CECOSESOLA, der in der Hauptstadt des Bundesstaates Lara circa 300.000 Menschen mit Lebensmitteln und weiteren Dingen des täglichen Bedarfs versorgt, nicht erst seit der Corona-Krise als derjenige Akteur wahrgenommen, der das Recht auf Nahrung einlöst. Cecesesola tut, was Markt und Staat nicht vermögen.

Naturgemäß globaler ist der Ansatz von Masks4All. Mitte März 2020 starteten Wissenschaftler, Forscher und Unternehmer, viele davon aus der Tschechischen Republik, einen engagierten Versuch, Öffentlichkeit und Politik davon zu überzeugen, wie elementar Masken sind, um die Verbreitung der Infektion zu stoppen. In dieser Zeit zeichnete sich bereits ab, dass die Marktlogik – Ware knapp, Preise rauf – zwangsläufig zu prekären Versorgungssituationen führen und sich die Verkaufspreise von realen Herstellungskosten weit entfernen würden. Besonders im Geschäft mit der Schutzkleidung im Gesundheitswesen, „versuchte sich jeder zu bereichern.“ Das evangelische Krankenhaus Mettman legte offen, was das für die Krankenhäuser in Deutschland konkret bedeutete: substantielle Preissteigerungen in kürzester Zeit:

OP-Atemmasken         0,03 € 0,50 €          (Steigerung: 1667%)

FFP2-Atemmasken     0,40 € 10,00 €        (Steigerung: 2500%)

FFP3-Atemmasken     0,46 € 14,00 €        (Steigerung: 3043%)

Schutzkittel                  0,47 € 3,00 €          (Steigerung: 638%)

Am Beispiel der Masken für unseren Alltagsgebrauch zeigte sich zugleich eine weit verbreitete Entfähigung. Masks4all stellte deshalb unter anderem Anleitungen zur Maskenherstellung – mit und ohne Nähmaschine – online. Die Initiative zitiert in diesem Zusammenhang den republikanischen Gouverneur von Maryland/USA, Larry Hogan, der einen zentralen Punkt prägnant formuliert: „Einige Leute haben gesagt, dass das Abdecken ihrer Gesichter ihre Rechte verletzt, dabei geht es darum, Ihre Nachbarn zu schützen [...] Die Verbreitung dieser Krankheit verletzt die Rechte Ihrer Nachbarn.“ Das Motto von Masks4all ist noch prägnanter: Meine Maske schützt Dich und Deine Maske schützt mich. Hier offenbart sich das vielleicht eindrucksvollste Motiv dieser Krise: Masken tragen unser Voneinander-Abhängig-Sein, unsere Interdependenz zur Schau. Deine Gesundheit hängt von meiner ab, mein Schutz von Deiner Umsicht, die Gesundheit der Einzelnen von der Gesundheit und Vorsorge aller.

Etwas Ähnliches gilt für das ganze Leben. Das ist Grundannahme des Commoning sowie die Grundidee eines Wirtschaftens, welches anerkennt, dass wir aus Beziehungen heraus und durch sie hindurch zum Individuum werden. Dieses ‚ich bin, weil Du bist‘, der Grundgedanke, ohne den Commoning nicht zu verstehen ist, wird künftig weniger erklärungsbedürftig sein, denn es beschreibt eine allgemein geteilte Erfahrung aus jüngster Vergangenheit: Masken schützen nicht in erster Linie die Person, die sie trägt, sondern vor allem die jeweils anderen vor einer möglicherweise unerkannten Infektion. Wer dennoch zuvorderst die je individuelle Freiheit bedroht sieht, versteht diese vermutlich nur als Freiheit des beziehungslosen Einzelnen und verliert die Gesellschaft aus dem Blick. Das „Ich-kann-machen-was-ich-will ist ganz nah dran am Da-kann-man-nichts-machen," schreibt der Kulturkritiker Georg Seeßlen.

Soweit die Exposition des Themas – um im Bild der Sonate zu bleiben –, ein paar Stücke sind bereits angeklungen. Nun folgt der Versuch, einige ihrer Motive zu identifizieren. Dies zu tun, erleichtert die (Wieder-)Aufführung ungemein.

Motive

Wissen ist mächtig, freies Wissen ist mächtiger

Lassen wir einige der genannten Beispiele Revue passieren, so springt ins Auge, dass freies Wissen im Sinne des Gemeinwohls mächtiger ist als Wissen, das zur Ware gemacht wird. Nur wenn Wissen großzügig weitergegeben wird, lässt sich das Beste für alle zu den bestmöglichen Bedingungen schöpfen. Entsprechend kritisieren Commoners die Idee, mit Wissen genauso umzugehen wie mit einem Stuhl oder einem Fahrrad. Zwar können wir auch den Stuhl und das Fahrrad abwechselnd oder gemeinsam nutzen, das schmälert jedoch unsere unmittelbaren oder momentanen individuellen Nutzungsmöglichkeiten. Dieser Unterschied wird auch in neoklassischen Ökonomielehrbüchern gemacht; und eigentlich zeigt er, wie unlogisch es ist, das, was durch Weitergeben mehr wird, genauso zu behandeln, wie etwas, das durch das Teilen tendenziell schwindet.

Folglich gehört es zu den wiederkehrenden Commons-Motiven, Wissen weiterzugeben oder Nutzungsrechte – wie bei freier Software oder in der Wikipedia – so zu gestalten, dass die Wissensallmende geschützt bleibt. Auch quelloffene Hardware löst Probleme, die die Logik des Marktes erst schafft. Sie könnte die Last der COVID-19-Pandemie lindern, die das globale Gesundheitswesen trägt, argumentieren Forscher*innen eines internationalen Projekts, das von der University of Sussex koordiniert wird. Kombination mit 3D-Druck könne frei verfügbares Design, etwa für Mikroskope und Beatmungsgeräte, der flächendeckenden Gesundheitsversorgung unmittelbar zu Gute kommen.

„Gemeinproduktion statt Massenproduktionsei das Gebot der Stunde, so Tom Baden, Professor für Neurowissenschaften. Neben dem weltweit nutzbaren Design, gäbe es „geringere Umsetzungskosten als bei Massenfertigung und es [das Design – S.H.] kann leicht für örtliche Ressourcen adaptiert werden.“ Die an diesem Forschungsprojekt beteiligten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kennen nicht nur die online verfügbaren, quelloffenen Blaupausen für passende Schutzausrüstungen, sie wissen auch, welche dieser Lösungen in ihrer Funktionalität bereits von Experten und Expertinnen geprüft sind. Die Zulassung quelloffener Hardwaredesigns ist allerdings langwierig, weshalb es „unglaublich nützlich“ wäre, wenn Regierungen die „Testung und Zulassung sinnvoll beschleunigen“ würden, findet Baden.

Noch augenfälliger ist die Relevanz des Umgangs mit Wissen im Bereich der Medikamenten- und Impfstoffproduktion. Hier könnte die Corona-Krise gar einen Wendepunkt mit sich bringen. Viele Wissenschaftsverlage, die normalerweise sehr restriktiv agieren, haben Corona relevante Forschungsergebnisse umgehend frei verfügbar gemacht. Auch die Diskussion zur Frage, wem künftig der Impfstoff gehören soll, hat an Fahrt aufgenommen. Die Geschichte belegt, wie entscheidend die Idee, dass Wissen, Ideen, Forschungsergebnisse Gemeingut statt Ware sein sollten, für die Diskussion um einen COVID-19 Impfstoff ist. Nachdem Jonas Salk 1955 den Impfstoff gegen die Kinderlähmung entwickelt hatte, wurde er von Journalisten befragt, wem das Patent auf den Impfstoff gehöre. Salk antwortete mit den vielzitierten Worten: „Nun, den Menschen, würde ich sagen. Es gibt kein Patent. Könnte man die Sonne patentieren?“ Der Mediziner Salk, der in den USA zum Volkshelden avancierte, fand die Vorstellung unpassend, einen lebensrettenden Impfstoff mit Gewinnmaximierungsabsicht herzustellen, über „die unsichtbare Hand des Marktes“ zu verteilen und so für viele Menschen unerschwinglich zu machen. Er übertrug daher Ende der 1950er Jahre die Verantwortung für den Impfstoff gegen die Kinderlähmung der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

In den darauffolgenden Jahrzehnten hat sich jedoch eine andere Idee durchgesetzt, der zufolge Nationalstaaten den produzierenden Unternehmen Patente für Medikamente gewähren und in besonderen Fällen Ausnahmen zur Generikaproduktion für den je einheimischen Markt ermöglichen. Im Kontext von Covid-19 wird nun ein anderer Ton angeschlagen. Anlässlich der sogenannten Corona Geberkonferenz formulierten EU Ratspräsidentin Ursula von der Leyen sowie einige Staats- und Regierungschefs, dass der Impfstoff als „einzigartiges globales öffentliches Gut“ zu verstehen sei, welches „von der ganzen Welt für die ganze Welt produziert“ werden solle. Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich im Mai 2020 ähnlich. Die Pharmaindustrie reagierte prompt: „Es muss dabei bleiben, dass die Unternehmen Eigentümer ihrer Entwicklungen bleiben.“ Ihr Argument wird schon deshalb Widerhall finden, weil es dem Sound entspricht, an den wir seit Jahrzehnten gewöhnt wurden. Kaum zur Kenntnis genommen wird indes, dass gemeinschaftliche, solidarische Forschungs- und Entwicklungsprozesse für Medikamente sowie innovative eigentumsrechtliche Konstruktionen zur Handhabung derselben bereits existieren, wie das Beispiel DNDI zeigt (dazu mehr weiter unten). Und dies bringt uns zum zweiten Motiv.

Selbstorganisation fördern statt auf den Staat setzen

Wer aber, werden Sie fragen, sollte einen Impfstoff als „Gemeingut“ oder „öffentliches Gut“ bereitstellen und auf Dauer dafür Sorge tragen? Wer den Staat für alles Öffentliche in der Bringschuld und in der alleinigen Entscheidungsmacht sieht, wird auf diesen setzen. Doch das ist in doppelter Hinsicht problematisch. Einerseits ist das Verhältnis zwischen Öffentlichem und Staat komplexer, denn das Öffentliche wird nicht durch staatliche Macht, sondern durch alle Bürger und Bürgerinnen hervorgebracht. Der Begriff taugt daher weniger als Beschreibung des staatlichen Aufgabenbereichs, sondern ist als Begrenzung staatlicher Macht zu verstehen, was in der Entscheidungsmacht und in Entscheidungsprozessen seinen Niederschlag finden sollte.

Andererseits übersieht der direkte Nexus ‚öffentlich-Staat‘, dass Markt und Staat zwar verschieden, aber nicht voneinander getrennt sind. Die mit Blick auf die USA geäußerte Sorge von EU Politikern und -Politikerinnen, es könne sich im Gesundheitswesen ein „brutaler Nationalismus“ zeigen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn der Hase liegt bereits im weniger brutalen Konzept der nationalen Souveränität im Pfeffer. Die Idee nationalstaatlicher Souveränität wird – verbunden mit dem Prinzip Marktwirtschaft – die Beteiligten früher oder später daran hindern, globalsolidarisch zu denken und zu handeln.[9] Die systemische Verknüpfung von Markt und Staat resultiert in nationalstaatsmarktlichen Interessen, die nicht nur den Streit um die Frage befeuern, wem der Impfstoff gehört, sondern auch zum Unterlaufen des 1,5 Grad Klimaziels drängen.

Den Herausforderungen einer interdependenten Welt, die sich in Klimakrise, Migrationsbewegungen oder Pandemie verdeutlichen, ist mit diesen Konzepten nicht zu begegnen. Wir brauchen daher Organisations-, Produktions- und Eigentumsformen, die dem Anspruch des Öffentlichen genügen, die die Bedürfnisse aller im Blick behalten, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, und die reale Mitentscheidungsmöglichkeiten bieten. Wir brauchen Commons-Governance by design. Sie könnte, anders als ein nationalsouveräner Markt-Staat,[10]nicht nur punktuell, sondern prinzipiell und langfristig Interdependenz anerkennen und solidarisch wirken. Sie kann zur Selbstorganisation anstiften, ihr gute Bedingungen bereiten und dafür sorgen, dass es einfacher wird, die Dinge in die eigenen Hände zu nehmen.

Wer aus dieser Perspektive die Nachrichten durchforstet, muss leider sehr gründlich suchen.[11] Die Bundesregierung ging mit dem Hackathon, #WirVsVirus, einen Schritt in diese Richtung und die Stadtregierung von Istanbul bietet Inspiration. Sie schuf eine digitale Plattform, um das, was unter Bekannten „ganz normal ist“ auch zwischen Unbekannten zu ermöglichen. In der Türkei wird in Restaurants gewöhnlich die Rechnung Anderer mitübernommen. Die Regierung der Stadt hatte diese Praxis im April 2020 aufgegriffen, um Menschen zu unterstützen, die infolge der Corona-Krise in Zahlungsschwierigkeiten geraten waren und ihre eigene Gas- oder Wasserrechnung nicht mehr begleichen konnten. Die Rechnungen der – offiziell bestätigt – bedürftigen Familien konnten fortan auf einer Webseite angeboten und anonym von anderen übernommen werden. Nur wenige Tage nach Programmstart waren knapp 100.000 Rechnungen im Wert von rund zehn Millionen Lira (knapp 2,5 Millionen Euro) beglichen, weitere gut 120.000 Rechnungen warteten noch auf Spenderinnen und Spender. Statt rein karitativ zu agieren, wurden hier schlicht bessere Bedingungen für Selbstorganisation geschaffen, um auch im großen Maßstab weiterlaufende Verbrauchskosten bei plötzlich fallenden Einkommen decken zu können. Hier zeigt sich in Grundzügen, wie eine Public Commons Partnership statt einer Public Private Partnership entstehen kann.

Was heißt das nun für die Frage, wer den Impfstoff als öffentliches Gut oder als Gemeingut bereitstellt und dafür Sorge trägt?[12] Es heißt, dem Beispiel Jonas Salks zu folgen und sich nicht auf nationalstaatliche Politiken zu verlassen. Die WHO oder eine andere gemeinschaffende globale Organisation – konstruiert als Commons Public Partnership – könnte die treuhänderische Verwaltung übernehmen. Sie würde Wegbegleiter für innovative Forschungs- und Finanzierungsmodelle sein, über die zivilgesellschaftliche Organisationen und private Unternehmen kooperieren. Anknüpfend an das Motiv des Freien Wissens, könnten Patente für Medikamente und Impfstoffe nicht nur in Krisenzeiten ausgesetzt werden, es wäre gänzlich darauf zu verzichten. Dies ist keine Ideologie, sondern gelingende Praxis, wie die Drug for Neglected Diseases Initiative, DNDI, seit Jahrzehnten beweist. DNDI erforscht, entwickelt, testet und verteilt Medikamente – gemeinsam mit staatlichen, multilateralen und privaten Partnern – insbesondere für jene Krankheiten, die sich für Unternehmen „nicht rechnen“, zu denen also nicht geforscht wird, obwohl es eine hohe Mortalitätsrate gibt und Millionen von Menschen betroffen sind. Wo kein Gewinn zu erwarten ist, da gibt es nach der Logik des Marktes auch keine Forschungsinvestitionen. Und wo nichts investiert wurde, kann auch kein Gewinn „einbrechen“, keine Produktion „heruntergefahren werden“, kein Verlust von Arbeitsplätzen drohen. Das Feld bleibt aus marktwirtschaftlicher Perspektive irrelevant, egal wie viele Menschen leiden und was sie konkret brauchen. Gerade das ist in Commons anders. Dort stehen Bedürfnisse im Mittelpunkt und das Produzieren wird gemeinsam verantwortet; und diese Art des Wirtschaftens bricht auch in Pandemiezeiten nicht zusammen.   

Gemeinsam produzieren und nutzen

Tatsächlich läuft dort, wo Dinge nicht zur Ware gemacht werden, im Grunde alles weiter wie bisher. In den circa 280 Betrieben der Solidarischen Landwirtschaft, die auch in Zeiten der Krise weiter Zulauf haben, wird angebaut, geerntet und verteilt wie vor Corona auch (unter Beachtung der Hygienemaßnahmen versteht sich). Kisten voller Lebensmittel werden Woche für Woche an jene ausgeliefert, die nicht Kunden und Kundinnen sind, sondern die jeweilige SoLawi als Mitglied auch durch Krisenzeiten tragen. Das war im Dürresommer 2018 so und ist im Corona-Frühling 2020 nicht anders. Kein Staat muss einspringen, um die Betriebe zu retten. Ein „runterfahren“ der Wirtschaft ist für SoLawis kein fundamentales Problem, weil die Landwirtschaft vielfältig konzipiert ist, die Strukturen weitgehend unabhängig von Saisonarbeitskräften funktionieren und Geld im Wesentlichen im Modus des Beitragens und Teilens verwendet wird. Ein Mitglied von Verantwortung Erde im österreichischen Villach formuliert es so: „Menschen, Materialien, Fähigkeiten bleiben doch gleich. Wir können weiterhin einfach tun.“

Ähnlich wie die Stadtregierung in Istanbul eine Plattform aufbaut, damit Menschen die Verbrauchsrechnungen Fremder einfacher übernehmen können, gibt es auch im Bereich der Landwirtschaft Organisationen, die der notwendigen Reorganisation den Boden bereiten. Sie nehmen Land – als eines der wichtigsten Produktionsmittel – aus dem Markt, damit aus der Spekulation und senken so nicht nur die Abhängigkeit derer, die das Land bewirtschaften, sondern mittelfristig auch die Infrastrukturkosten. Ein Mitarbeiter der Kulturland Genossenschaft bestätigt in einem Austausch über die Rolle von Commons in Zeiten der Pandemie ein steigendes Interesse an diesem Modell und resümiert: „Wir haben die Zukunft vorweggenommen, wir haben sie vorweggelebt. Jetzt haben wir für viele tolle Projekte viel Landkauf in der Pipeline."

Schluss

Ich würde gern mit dem Gedanken schließen, dass jetzt die Stunde der Commons schlägt, denn das schafft Resilienz, reduziert Abhängigkeiten und damit Machtungleichgewichte. Mit Commons ist es möglich, was im dominierenden Wirtschaftssystem undenkbar scheint: „runterfahren" ohne abzustürzen. Dinge einfach sein lassen, weil wir sie gerade nicht brauchen. Entspannt im Sparmodus laufen, solange wir genug zum Leben haben. Verzichtbare Dinge nicht nur deswegen herstellen, weil Arbeitsplätze erhalten werden und Menschen ihre Existenz sichern müssen. Vielen sinnvollen Tätigkeiten nachgehen, die nichts mit Geschäftsmodellen zu tun haben.

Ich glaube also nicht, dass die Stunde der Commons schlägt, denn die Beharrungskräfte des alten Denkens, überkommene Ideen vom Wirtschaften und Politikkonzepte des 19. Jahrhunderts stehen dem entgegen. Ich glaube aber, dass diese Krise bessere Bedingungen dafür geschaffen hat, dass wir lernen wie Commoners zu denken, denn wir teilen nicht nur diese gemeinsame Erfahrung, wir konnten auch beobachten, wie schnell alles veränderbar ist. Fortan wird nicht mehr begründungspflichtig sein, warum eine Umstellung der Wirtschaft auf „weniger Produktion und nähere, synergetische Produktionsweisen, z.B. Quartierwerkstätten, Re-use, Repair und Recyclingzentren [...] ökologisch erforderlich und sogar ‚seuchentauglicher‘“ ist. Es wird einsichtig sein, warum wir „systemrelevante“ von „lebensrelevanten“ Tätigkeiten unterscheiden und Letztere als tatsächliche Grundlage unseres Wirtschaftens anerkennen müssen. Es wird klar sein, dass die Motive des Commoning nicht in die Schublade „kleine Gemeinschaften“ gehören, sondern auf leistungsfähigen Kommunikationsplattformen beruhende Prozesse des selbstorganisierten, gemeinschaffenden, einbeziehenden Versorgens beschreiben. Es wird unabweisbar sein, dass wir die Eigentumsfrage neu beantworten müssen. Vor allem aber, haben alle verinnerlicht, was Interdependenz bedeutet: Sie erinnern sich? Deine Maske schützt mich und meine Maske schützt Dich. 
Die Konsequenz kann nur sein: Commons ausweiten. NOW! 

 


Silke Helfrich hat Erwachsenenpädagogik und romanische Sprachen sowie Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Ökonomie studiert. Sie ist freie Autorin, Forscherin und vielgebuchte Rednerin; Mitbegründerin des Commons-Institut e.V. und der Commons Strategies Group sowie Mitinitiatorin des Netzwerks Ökonomischer Wandel (NOW). Letzte Buchveröffentlichung: Mit David Bollier: Frei, Fair und Lebendig. Die Macht der Commons, transcript, 2019.


[1] Tagesschau vom 24.03.2020

[2] Aus Platzgründen übernehme ich dieses abstrakte Konzept ohne es zu problematisieren.

[3] Die Frage wirft ein Licht darauf, dass Wirtschaft im Grunde der Befriedigung unserer Bedürfnisse dienen sollte.

[4] Wörtlich verstanden ist das korrekt.

[5] Für einen Moment wird klar, dass es Care- und Sorgearbeiterinnen gar nicht möglich ist Pause zu machen und auszuruhen. (Für-)Sorge ist nämlich nicht nur „systemrelevant“ in dem Sinne, dass sie Kern und Grundlage allen Wirtschaften ist. Care- und Sorgearbeit ist immer und vor allem lebensdienlich, egal wie es gerade um den Markt bestellt ist.  

[6] Vgl.  Brand, Ulrich und Markus Wissen (2017): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur in Zeiten des globalen Kapitalismus. München: Oekom.

[7] mitunter ins Deutsche als gemeinschaffen übersetzt

[8] Stand der Zahlen am 08.06.2020: Bestätigte Fälle: 1107 (davon viele, die vom Studium im Ausland nach Hongkong zurückkehren mussten); Entlassen: 1048; Verstorben: 4, Krankenhausaufenthalt: 55.

[9] Der denkwürdige Auftritt des italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte während der Corona-Krise im deutschen Fernsehen (31.03.2020) zeigt, dass diese Diagnose auch innerhalb von Nationalstaatsbünden zutrifft.

[10] Die hier beschriebene Spannung zeigt sich auch in den Ausnahmen, wenn etwa Regierungen in Zeiten der Krise anders handeln als gewöhnlich. So beschloss die portugiesische Regierung, für die Zeit der Corona-Krise das Kranken- und Sozialsystem für jeden und jede in Portugal zu öffnen – unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Diese Maßnahmen sind die „Pflicht“ einer „Solidargesellschaft in Krisenzeiten“, so Innenminister Eduardo Cabrita. Vgl. Portugal regulariza imigrantes para dar acesso ao sistema de saúde: https://oglobo.globo.com/mundo/portugal-regulariza-imigrantes-para-dar-acesso-ao-sistema-de-saude-durante-pandemia-de-coronavirus-24335450, Zugriff am 20.05.2020

[11] Die Autorin analysiert mit Studierenden der Cusanus Hochschule die 20 Uhr Nachrichten der Tagesschau zwischen dem 01. März und dem 05. Mai 2020 mit Blick auf das gesellschaftliche Gespräch über den Umgang mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Dort wird der Begriff „Gemeinschaft“ v.a. im Zusammenhang mit „Schulden“ verwendet wird und der Begriff Selbstorganisation bleibt völlig ausgespart.

[12] Die Politik verwendet beide Begriffe als würden sie dasselbe bezeichnen.