Einmischung erwünscht?!

 

„Einmischung erwünscht - Ist das heute noch aktuell?“, wollte Gerhard Kaiser, Literaturwissenschaftler der Göttinger Universität und humorvoller Moderator der Diskussionsrunde im Alten Rathaus Göttingen von seinen Gästen wissen. Ein würdiger Ort, um anlässlich seines 100. Geburtstages den Schriftsteller Heinrich Böll (1917-1985), sein Werk und sein Wirken damals wie heute zu reflektieren. Würdig auch das Podium: die Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe, die Performance-Künstlerin Anne Bonfert und der Autor Jonas Lüscher diskutierten über die Aktualität der Essays, Reden und Romane von Heinrich Böll.
Das kollektive „Wir“ im Essay „Einmischung erwünscht“ fand Felicitas Hoppe „bemerkenswert, wo es doch so viele verschiedene Typen“ gäbe. Um dann zu bekräftigen: „Aber ja, wir mischen uns ein. Aber nicht in Form eines ‚Gewissens der Nation’“. Das mit dem Gewissen müsse jeder schon für sich selbst klären. Grundlegend habe sich die Situation seit damals nicht verändert, auch wenn man heute nicht mehr so autoritätshörig sei und damit nicht mehr so versucht, Personen auf ein Podest zu stellen. Sie mahnte, Begrifflichkeiten zu hinterfragen: „Was verstehen wir denn unter politischem Handeln? Unter politischem Schreiben?“
„Politisch“, das sei lange Zeit die Eindeutigkeit, Klarheit, die Mission gewesen, erläuterte Anne Bonfert. Das sei zunehmend unmöglich geworden, statt Schwarz und Weiß dominierten immer stärker Grautöne. Die heutigen Autorinnen und Autoren verlassen nicht mehr selbstverständlich ihr Milieu. Sie haben nicht mehr diesen selbstverständlichen Habitus, vertreten Positionen nicht mehr mit dem Anspruch der Allgemeingültigkeit. Allerdings sei das bei den Rechtsintellektuellen sehr wohl zu beobachten, differenzierte Jonas Lüscher..

Die „Ungehaltene Rede vor dem deutschen Bundestag“ hingegen polarisierte. Sie sei erschreckend aktuell, leitete Kaiser ein, die Themen könnten wir heute so übernehmen, lediglich manche Namen müsse man auswechseln. Lüscher hingegen störte sich an dem Text. Er bestünde aus lauter Behauptungen, aber was folge daraus? Was erreiche ein solcher Text? Was will er? Ungehört Hoppes Hinweis auf das Stilelement der Ironie, ungehört auch ihr Hinweis, dass im Bundestag – auch von Intellektuellen - die sonderbarsten und nicht immer gehaltvollsten Reden gehalten werden, - der Streit, ob die Rede nun qualitativ besser oder schlechter sei als der vorherige Text oder einfach nur „anders“, ließ sich nicht befrieden. Ebenso wenig der uralte, auch hier aufflammende Streit, ob Böll nun „gut“ schreiben konnte oder nicht. Einschätzung stand neben Einschätzung, Heinrich Böll hätte es sicher gefreut, diesem Hin und Her zuzuhören.
Die Passage aus dem Roman „Billard um halb zehn“, wie auch alle anderen sehr stimmungsvoll von dem Schauspieler Florian Eppinger (Deutsches Theater Göttingen) vorgetragen, versöhnte Lüscher wieder, der den Roman als einen „ganz starken Text“ bezeichnete. Zustimmung von Hoppe, Bonfert haderte allerdings mit den Figuren und der Art und Weise ihrer Darstellung.

Und was bleibt nun von Böll? Eine Frage zum Schluss, die die sehr unterschiedlichen Perspektiven auf Böll versöhnlich zusammenführte. Alle drei waren sich einig, dass seine Bücher bleiben, nicht zuletzt, so Bonfert, weil es so viele erschreckend aktuelle Bezüge gäbe. Hoppe betonte aber auch die Haltung, die Böll ausgezeichnet und die Zuschreibung des „Gewissens der Nation“ so nachvollziehbar mache. Auch sie bleibt und fordert jede und jeden immer wieder von neuem heraus, eine eigene Haltung zu aktuellen Themen zu finden.