Interview mit Arne Jungjohann zur Studie "Grün regieren"

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Arne Jungjohann ist Politikwissenschaftler und hat im Deutschen Bundestag, für den Ministerpräsidenten Baden-Württemberg und für die Heinrich-Böll-Stiftung in Washington DC gearbeitet.

  • Worum geht es in Deiner Studie „Grün regieren – eine Analyse der Regierungspraxis von Bündnis 90/die Grünen?

Die Studie gibt eine Antwort darauf, wie gutes, grünes Regieren in der Praxis funktioniert. Sie beleuchtet das politische Handwerk, das die Grünen im Regierungsalltag anwenden: in der Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner, im Spiel zwischen Partei, Fraktion und Ministern, aber auch innerhalb der föderalen Arena. Für die Studie habe ich vier Dutzend Interviews mit grünen Spitzenpolitker*Innen und Berater*Innen geführt und blicke damit hinter die Kulissen des Regierungsalltags.

  • Wie kamst Du auf die Idee zur Studie?

Die Idee kam aus der Praxis. Als ich für Winfried Kretschmann im Staatsministerium gearbeitet habe, habe ich immer wieder frühere Kollegen auf Suche nach Rat angerufen, wie sie dieses oder jenes machen würden. Frühere Kollegen aus gemeinsamer Zeit in der Bundestagsfraktion, die wie ich mittlerweile für Ministerien über die ganze Republik verstreut arbeiteten. Der Austausch war immer ergiebig, aber eben nur punktuell. Irgendwann fiel mir auf, dass viel von dem Wissen und den Erfahrungen, die einzelne von uns machen, oft nur zufällig im persönlichen Austausch mit anderen geteilt wurden. Eine systematische Auswertung dieser Erfahrungen im Regierungsalltag lag nicht vor. Auch nicht in der Politikwissenschaft. Dann war schnell klar: das willst du machen.

  • Welcher Grüne Landesverband ist, gemessen an ihrem prozentualen Anteil, den sie an der Regierung haben, der Einflussreichste, bzw. Mächtigste? Woran machst du das fest?

Natürlich sind die Grünen in Baden-Württemberg einflussreich: sie sind stärkste Kraft in einem – noch dazu großen - Land, stellen die meisten Abgeordneten, führen die Koalition an, verantworten wichtige Ministerien und stellen mit Winfried Kretschmann den Ministerpräsidenten – und das bereits in zweiter Legislatur. Grünintern spielen die Baden-Württemberger in dieser Hinsicht in einer anderen Liga.

Welches G-Land relativ einflussreich ist, hängt dabei immer vom Maßstab ab. Nehmen wir die Anzahl der Ministerien als Beispiel: In Niedersachsen verantworten die Grünen vier, in Schleswig-Holstein ‚nur‘ zwei Ministerien. Sind also die Niedersachsen doppelt so einflussreich? Schaut man sich die Geschäftsbereiche und den Zuschnitt der Ministerien an, sind die vier niedersächsischen Ministerien recht schmal zugeschnitten. Da vereinen die beiden Umwelt- und der Agrarminister zusammen die Geschäftsbereiche, die in Schleswig-Holstein vom grünen Umwelt- und Agrarminister verantwortet werden.

Die Frage ist also, welche Indizien wirklich auf Macht und Einfluss schließen lassen. Ist ein Landesverband einflussreich, der in der Regierung viele eigene Projekte durchbekommt? Sind die Grünen mächtiger, die wiedergewählt wurden? Dabei agieren die Grünen ja nicht im luftleeren Raum. Ob eigene Projekte umgesetzt werden können, hängt stark vom Zusammenspiel mit dem Koalitionspartner, der Hartnäckigkeit einer Opposition, aber auch von politischen Konjunkturen ab.

  • Die Grünen sind in den Landesregierungen seit vergleichsweise kurzer Zeit vertreten. Dementsprechend haben die Grünen auch weniger Erfahrung in Regierungsarbeit als andere Parteien. Ergeben sich daraus Nachteile für die grünen Regierungen?

Anfangs mussten sie sicherlich Lehrgeld zahlen. Aber die Grünen haben aufgeholt und in den letzten zehn Jahren dazu gelernt. Schaut man sich zum Beispiel den Koalitionsvertrag von R2G in Berlin an, dann sind dort viele Absprachen festgelegt, die nahelegen, dass sich die Berliner Grünen sehr gut bei den anderen G-Ländern informiert haben. Auch ist den neuen Regierungsgrünen heute klarer, dass die Arbeit einer Landesregierung eben nicht nur im Land selbst, sondern in der föderalen Arena stattfindet – also im Bundesrat, auf den Konferenzen der Fachminister und Ministerpräsidenten. Wenn man das weiß, dann stellt man sich in Koalitionsverhandlungen ganz anders auf.

Bester Beleg für diese Einsicht ist der G-Kamin. Mit ihm und der dahinter liegenden G-Koordination haben sich die Grünen in wenigen Jahren informelle Strukturen aufgebaut, die die A- und B-Länder schon seit Jahrzehnten für sich nutzen.

  • Grüne regieren in den Ländern in 8 verschiedenen Koalitionen. Sind diese Koalitionen alle auch auf Bundesebene denkbar?

Theoretisch ja, aber praktisch gibt es politische Hürden. Die Länder waren schon immer ein Testlabor für die Bundesebene. Aber die Landesverbände der Parteien unterscheiden sich stark voneinander und von der jeweiligen Bundespartei. So ist für die Grünen in einem Land die Koalition mit der CDU denkbar, in einem anderen aus nachvollziehbaren Gründen nicht. Zuletzt war im Bund rechnerisch seit 2013 eine rot-rot-grüne Mehrheit möglich, die politisch aber nicht eingelöst wurde. Auf Bundesebene scheint bei der Großen Koalition eine Mattigkeit um sich zu greifen. Deshalb halte ich es für wahrscheinlich, dass die Parteispitzen auch ernsthaft neue 3er-Konstellationen anstreben werden, wenn das Wahlergebnis das hergibt.

  • „Die Hälfte der Macht den Frauen“ – so ein grüner Parteigrundsatz. Daher werden grundsätzlich mindestens die Hälfte aller grüner MinisterInnen-Posten an Frauen vergeben. Auch der Fraktionsvorstand besteht mindestens zur Hälfte aus Frauen. Bedeutet diese Halbteilung nun aber tatsächlich, dass bei Grünen in Regierungsverantwortung die Hälfte der Macht den Frauen zuteil wird?

Die Studie zeigt, dass im Regierungsalltag sogar mehr als die Hälfte der grünen Spitzen Frauen sind. Denn die ranghöchsten Positionen haben die stellvertretenden Ministerpräsident*Innen und Bürgermeisterinnen. Bei den Grünen waren dies zuletzt sieben Frauen und nur vier Männer. Bei den letzten Landtagswahlen, wo die Grünen aus der Opposition in die Regierung eingetreten sind – in Berlin, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Hamburg – hat jeweils eine Frau diese Position übernommen.

  • Es besteht keine Sicherheit darüber, ob Rot-Grün seine Mehrheit nach der nächsten Landtagswahl in Niedersachsen behält. Einige halten die Ampel für eine denkbare Option ab 2018. Nachdem was Du über Grüne Regierungsarbeit in der Ampelkoalition herausgefunden hast: Glaubst Du, dass diese Koalition den Grünen gut tut und hältst Du sie für eine denkbare Option für Niedersachsen?

Eine Ampel ist nicht per se gut oder schlecht. Wie alle Koalitionen hängt auch sie neben den politischen Inhalten von den jeweiligen Landesverbänden, den handelnden Personen und der politischen Kultur im Land ab. Politik wird ja von Menschen gemacht und wie überall, wo Menschen zusammenarbeiten, sind die Persönlichkeit und der Respekt für einander ausschlaggebend dafür, ob eine Zusammenarbeit gelingt oder nicht. 

Mit dem nüchternen Blick eines Politikwissenschaftlers würde ich aber sagen, dass für die Niedersachsen der Vergleich mit Rheinland-Pfalz lohnt. Denn die Konstellation wäre ähnlich: Rot-Grün wurde nach dem Verlust einer eigenen Mehrheit die FDP als dritten Partner in das Bündnis aufnehmen müssen. Wie das von der anderen Seite wiederum aussieht, hat der grüne Landesverband in Sachsen-Anhalt erfahren. Dort sind die Grünen nach der letzten Wahl als dritter Partner in die Koalition aus CDU und SPD gegangen.

  • Wir haben gesehen, dass Niedersachsen überproportional viele Ministerien verantwortet. In Hessen und Schleswig-Holstein verantworten die Grünen nur 2 Ministerien, dafür sehr große und einflussreiche. Welche Vorteile und Nachteile hat es, dass Niedersachsen seine Ressourcen auf so viele Ministerien streut?

Die Anzahl an Ministerien allein ist nicht wirklich aussagekräftig. Obendrein ist der Ressortzuschnitt nur Teil eines größeren Puzzles der Koalitionsverhandlungen und folgt nicht immer sachpolitischen Erwägungen. Aber sicher gibt es Vor- und Nachteile unterschiedlicher Ressortzuschnitte. Man möchte meinen, dass ein großes Ressort prinzipiell von Vorteil, weil es eine schlagkräftige Politik aus einem Guss ermöglicht. Andererseits nützt diese Schlagkräftigkeit nichts, wenn der Widerstand des Koalitionspartners – oder der dahinter liegenden Lobbyinteressen - nicht am Kabinettstisch aufschlägt, sondern dann erst über die Landtagsfraktion später kommt. Diese Frage versuche ich in einem Folgeprojekt zu beantworten, dass die grüne Regierungspraxis in Sachen Umweltpolitik und ökologischer Modernisierung analysiert.

  • Du tourst zurzeit mit der Studie, zum Teil auch in englischer Fassung, nicht nur in Deutschland, sondern auch in England, in Irland und in Canada rum. Können Grüne in anderen Ländern etwas von Grünen Regierungen in Deutschland lernen?

Das internationale Interesse ist groß, weil die deutschen Grünen als etabliert und einflussreich gelten. Es gibt meines Erachtens drei Punkte, die Grüne Parteien von den deutschen Grünen lernen können. Erstens, wie man als Partei seine Kernkompetenz auch in Regierungszeit ausspielt. Zweitens, veranschaulichen die Regierungserfahrungen der deutschen Grünen, welche Instrumente des politischen Werkzeugkastens unverzichtbar sind. Und drittens zeigen die Grünen, wie man in kurzer Zeit informelle Strukturen aufbauen kann, die die parteiinterne Koordination stärken.

Das Interview führte Svenja Appuhn.