40 Gäste diskutierten mit Expert:innen über Ansätze und Perspektiven für zukunftsgewandtes Bauen und Wohnen in Lüneburg
Zu wenig Wohnraum, zu viel Verkehr, Leerstand in der Fußgängerzone, Versiegelung des Bodens, zu wenig Schutz vor Hitze und Starkregen: Rund um die Innenstadt Lüneburgs sind aktuell viele Probleme zu lösen. Und all dies vor dem Hintergrund der Frage, wie wir die Stadt so aufstellen wollen, dass sie für die Herausforderungen der Klimakrise gut gewappnet ist. „Wir müssen Innenstadt vielfältig nutzbar und flexibel denken“, sagte Prof. Dr. Tanja Remke vor 40 Gästen in der Reihe „Klima.Wandeln.Hier“: Das bedeute beispielsweise, Geschäftsgebäude für andere Nutzungsformen zu öffnen, erläuterte die Architektin und Innenarchitektin aus Barsinghausen, die entsprechende Ideen und Projekte aus anderen Städten vorstellte.
Wie dringend der Handlungsbedarf ist, verdeutlichen Zahlen. 32 Geschäftsräume stehen aktuell leer in Lüneburgs Zentrum. Dort wo einst Läden für Lebendigkeit und Umsatz sorgten, wird wertvoller Raum nicht genutzt. Immerhin: „Für acht der leeren Geschäftsräume gibt es aktuelle Pläne, sie bald wieder zu nutzen, Planungen für die anderen leerstehenden Objekte sind der Verwaltung nicht bekannt“, erläuterte Florian Norbisrath von der Stabsstelle für Nachhaltige Entwicklung der Hansestadt Lüneburg. Die grundsätzlichen Probleme der Innenstadt löst das nicht – und das nicht nur, weil für 24 Läden offenbar keine Pläne zur Wiedernutzung bestehen. Auch über den Geschäften gibt es einigen Leerstand, der für den Wohnungsmarkt ebenso gut nutzbar wäre, wie manch ein brachliegendes Dachgeschoss.
Menschen, die sich für einen entsprechenden Ausbau stark machen, werden aber durch verschiedene Dinge ausgebremst. Da sind Vorschriften, die sich noch an früheren Auffassungen der Stadtplanung orientieren. Andere Pläne scheitern, weil beispielsweise die Kosten für eine gesetzeskonforme Ausstattung der Gebäude (wie Brandschutz und Elektrizität) hoch sind – und Mittel nicht für die Verwendung bei Privathäusern gedacht sind. Manch ein Eigentümer eines Geschäftshauses mag die Investition nicht tätigen, wieder das Treppenhaus einzubauen, das einst herausgerissen wurde, um die Verkaufsfläche im Erdgeschoss zu vergrößern. „Die Hansestadt Lüneburg steht im Dialog mit Eigentümerinnen und Eigentümern und ist um weitere Dialoge bemüht, um entsprechende Ideen zu reflektieren“, so Norbisrath.
Er stellte sich einer Diskussion, in der einmal mehr die Unzufriedenheit mancher Lüneburger:innen mit der Langatmigkeit von Verwaltungsprozessen zum Ausdruck kam – und die Frage im Raum stand, wann hier eine neue Struktur Abhilfe schafft, auch um den Folgen der Klimakrise endlich begegnen zu können. So mahnte ein Gast nachdrücklich, dass der Stadt das Potenzial für den Ausbau von Dächern auf Privathäusern seit 2017 bekannt sei, das Baudezernat aber nichts dagegen unternehme. Norbisrath wies in dem Zusammenhang auf verschiedene Fördermittel des Lüneburger Klimafonds für private Haushalte hin (https://www.lueneburg-klimaschutz.de/).
Im Zentrum aber müsse auch die Frage danach stehen, was die wirklichen Bedarfe der Stadtbewohner:innen sind, betonte Prof. Dr. Tanja Remke in ihrem Impulsvortrag zu Beginn des Abends. „Die Stadt muss mit den Bewohnerinnen und Bewohnern gedacht werden, nicht für die Bewohnerinnen und Bewohner“, betonte sie. Dafür sei die Partizipation als ernsthaftes und durchgängiges Planungswerkzeug unabdingbar, erläuterte sie und machte dies an einem Beispiel fest: In Hannover gestaltet sie aktuell mit ihrem Architekturbüro eine Schule um, in der sich sämtliche Betroffenen des Gebäudes über den gesamten Prozess äußern und einbringen. Wesentlich dafür sei: „Von Beginn an den Rahmen festzulegen, in dem man sich bewegt“, so Remke vor allem mit Blick auf die Finanzen. Sie verstehe ihre Aufgabe als Architektin stärker als der einer Moderatorin, die Möglichkeiten aufzeige und letztlich Gewünschtes und gemeinsam Geplantes umsetze.
Zugleich machte sie deutlich, wie wenig Sinn es hinsichtlich energetischer Fragen ergebe, ein Gebäude abzureißen, statt es umzubauen und umzunutzen: „Bei der Herstellung von einem Kubikmeter Stahlbeton wird so viel Kohlendioxid freigesetzt, dass es 4000 Bäume braucht, um diese Menge an einem Tag umzuwandeln. Bezogen auf einen typischen Stahlbetonschulbau der 1970er Jahre braucht es zur Kompensation an einem Tag ca. 28 Millionen Bäume“, erläuterte Tanja Remke in ihrem Vortrag.
Vor diesem Hintergrund stellte sie einige Projekte aus anderen Städten vor, in denen Geschäftsgebäude umgenutzt wurden – und so für neues Leben in den Innenstädten sorgen. Hierzu vier Beispiele: Das ehemalige Hertie-Kaufhaus in Oldenburg stand lange leer. Durch einen Innovationshub entstanden hier Räume mit Co-Working-Spaces, Café, Läden, Buchhandlung. „Das zieht neue Leute in die Innenstadt“, erläuterte Remke. In Hamburg wird das ehemalige Vivo-Kaufhaus zur Stadtteilschule Ottensen umgebaut und soll künftig als Ort vielfältiger Begegnungen dienen. In Berlin wurden Wasserspiele aus der DDR-Zeit instandgesetzt und werten heute als Orte der Begegnung verschiedene Zentren auf. Zudem sorgen sie bei großer Hitze für Abkühlung. Ebenfalls in Berlin wurde das ehemalige Kindl-Areal durch ein Upcycling Konzept aufgewertet und dabei 70 Prozent wiederverwendetes Material eingesetzt.
Solche Umnutzungskonzepte sollten auch für Wohnhäuser gelten, merkte ein Gast aus dem Publikum an. Vor allem dann, wenn möglicher Wohnraum sonst ungenutzt bleibe.
Wie dringend Veränderungen im Gebäudesektor sind, verdeutlichte die Moderatorin des Abends, Dr. Marie-Luise Braun, zu Beginn der Veranstaltung: Laut Erhebungen der Vereinten Nationen (UN) verursacht dieser Bereich 38 Prozent der globalen CO2-Emissionen. Zudem verstoße die Bundesregierung gegen das geltende Klimaschutzgesetz. Nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. November 2023 muss sie zeitnah stimmige Klimaschutz-Sofortmaßnahmen für die Bereiche Gebäude und Verkehr vorlegen. Auch hier gelte es, im lokalen Bereich entsprechende Vorhaben schnellstmöglich umzusetzen. Das Interesse und die Bereitschaft zum Handeln sind in Lüneburg groß. Das zeigte die rege Beteiligung an diesem Abend.
„Klima.Wandeln.Hier“ ist eine Kooperation von: Klimaentscheid Lüneburg, Stiftung Leben & Umwelt/ Heinrich Böll-Stiftung Niedersachsen, agentur wortgewandt, 23grad e.V. und JANUN Lüneburg e.V..