Rassistische und sexistische Stereotype sind immer noch nicht verschwunden im größten Business der Sportindustrie, dem Profifußball. Pünktlich zur Europameisterschaft - und passend zu den aktuellen Debatten über Rechtsextremismus - hat Ronny Blaschke dazu ein spannendes Buch veröffentlicht.
Als die einstige Juniorinnen-Nationalspielerin Shary Reeves in der Frauen-Bundesliga für den SC 07 Bad Neuenahr auflief, waren von den Rängen gelegentlich Imitationen von Affengeräuschen zu hören. Die später als Sängerin, Schauspielerin und Moderatorin erfolgreiche Tochter Schwarzer Eltern, 1969 in Köln geboren, hat in ihrer Fußballkarriere immer wieder solche Erfahrungen gemacht. Ähnliches erlebten männliche Kollegen: Bananen flogen auf den Rasen und Pfiffe ertönten, als die ersten Spieler*innen of Colour in den europäischen Stadien auftauchten. Solche rassistischen Vorfälle sind zwar seltener geworden, aber keineswegs endgültig Vergangenheit.
Der Deutsche Fußballbund, seine Spitzenklubs wie auch Ehrenamtliche in kleinen Amateurvereinen engagieren sich dagegen. Schwarze Kicker wie der Nationalverteidiger Antonio Rüdiger sind bei den Fans akzeptiert, in der Regel werden sie nach ihrer Leistung und nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt. Aber es ist auch noch nicht so lange her, dass der AfD-Bundestagsabgeordnete Alexander Gauland öffentlich verlauten ließ, einen Jerome Boateng (der frühere Nationalspieler ist in Berlin geboren) wolle man lieber nicht zum Nachbarn haben. Immerhin erntete Gauland wegen seiner Äußerung nicht nur von Politiker*innen anderer Parteien, sondern auch auf Transparenten in den Stadien heftigen Gegenwind.
Der Journalist Ronny Blaschke hat jetzt ein Buch über das koloniale Erbe des Fußballs vorgelegt. Die weltweite Verbreitung dieser massenwirksamsten Sportart, so die These des Autors, wäre ohne die globale Präsenz der europäischen Mächte nicht möglich gewesen. Vor allem das britische Empire brachte das Spiel nach Asien und Afrika, Spanien und Portugal importierten den Fußball nach Mittel- und Südamerika. In einer äußerst selbstherrlichen Sicht verstanden sie das als eine Art westlich-weißes Geschenk an angeblich unterentwickelte Gesellschaften.
Brennglas Fußball
In Reportagen aus fünf Kontinenten schildert Blaschke die langfristigen Folgen, stets durch das Brennglas des Fußballs gesehen. Denn absurderweise hat gerade die Einwanderung aus den ehemaligen Kolonien dazu geführt, dass die europäischen Nationalteams durch die Integration von Kickern of colour die Qualität ihrer Teams spürbar steigern konnten. Exemplarisch zeigte sich das zuerst in der französischen Nationalmannschaft, die wesentlich geprägt durch die Nachfahren algerischer Migranten wie Zinedine Zidane 1998 erstmals Fußball-Weltmeister wurde. In England waren es vor allem Spieler aus der Karibik wie der in Jamaika geborene Raheem Sterling, hierzulande “Deutschtürken” wie Mesut Özil oder Ilkay Gündogan, die die Qualität der zuvor homogen weißen Teams verbesserten. Auch dadurch bestärkt entwickelte sich die Sportart Fußball zu dem heute etablierten milliardenschweren Business.
Ein früher migrantischer “Held” war der portugiesische Fußballstar Eusebio, der aus dem damals noch als Kolonie besetzten Mosambik stammte. Er feierte mit Benfica Lissabon zahlreiche Meisterschaften und Erfolge in den europäischen Wettbewerben, seine Tore sicherten Portugal den dritten Platz bei der WM 1966. Zur gleichen Zeit glänzte für Brasilien der Spielmacher Pele, das größte Land Südamerikas hatte People of Colour relativ früh in seine Nationalmannschaft integriert. Im Widerspruch dazu kursierte in der vorgeblichen “Rassendemokratie” dennoch die Behauptung, Schwarze Straßenkicker hätten zwar eine natürliche Begabung für den Fußball, taugten aber nicht für sportliche Führungsaufgaben.
Solche einst gängigen Theorien über angeblich per Hautfarbe angeborene Eigenschaften hat die Wissenschaft längst widerlegt. Ein ständig wiederholtes Klischee lautet, dass Schwarze schneller laufen können und athletischer auftreten, dafür aber den Weißen in Sachen Spielintelligenz, Taktik und Strategie unterlegen seien. Bis heute, so Blaschke, durchzieht rassistisches Denken über natürliche Veranlagungen die Sportindustrie und ihr Umfeld. Und noch immer bedienen sich Fernsehkommentatoren gelegentlich entsprechender Stereotype, wenn sie das Verhalten Schwarzer Spieler auf dem Platz beurteilen.
Unterbelichteter Sexismus
Das Risiko, bei einem sportlichen “Versagen” ins mediale Trommelfeuer zu geraten, ist für Spieler mit Migrationshintergrund deutlich höher. Nach dem verlorenen Elfmeterschießen der englischen Nationalmannschaft im EM-Finale 2021 gegen Italien wurden in den britischen Boulevardzeitungen die Schwarzen Jadon Sancho, Marcus Rushford und Bukayo Saka als Schuldige ausgemacht, weil sie ihren Strafstoß nicht “verwandelt” hatten. Der deutsche Mittelfeldregisseur Mesut Özil fiel nicht nur wegen seiner mäßigen Leistungen bei der WM 2018 in Ungnade, sondern auch, weil er bei der Nationalhymne nicht inbrünstig genug mitsang und anlässlich der Präsidentenwahl in der Türkei den Autokraten Recep Erdogan unterstützt hatte.
In Blaschkes Buch geht es also um viel mehr als nur um Fußball, der “wohl einflussreichsten Alltagskultur unserer Zeit”. Der Verfasser nutzt die Popularität der Sportart und den zeitlichen Aufhänger eines großen Turniers, um in kleinen Facetten und Anekdoten über die teils noch wenig bearbeitete europäische Kolonialgeschichte aufzuklären. Dieses Defizit gilt gerade für Deutschland, wo in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg aus gutem Grund die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im Vordergrund stand. Die zuvor begangenen Kolonialverbrechen der selbsternannten “Herrenmenschen” in Namibia oder Ostafrika dagegen wurden lange verdrängt.
Nur am Rande behandelt der Autor das (mit dem Rassismus intersektional verschränkte) Thema Sexismus. Blaschke hat zwar auch weibliche Spielerinnen wie Shary Reeves interviewt, ihre Erfahrungen mit der doppelten Diskriminierung durch Hautfarbe und Geschlecht kommen aber zu kurz. In einem Internet-Beitrag schildert Reeves ein sie verstörendes Erlebnis in ihrer Funktion als Botschafterin der Frauen-Fußball-WM in Deutschland 2011: Auf einer Open-Air-Veranstaltung In Dresden wurde sie von einem Rechtsradikalen attackiert, der ihr seinen Ellbogen in die Rippen rammte.
Mehr Beispiele dazu wären wünschenswert gewesen, doch selbst ein rassismuskritischer Journalist nimmt hier weitgehend eine ausschließlich männliche Perspektive ein. Dennoch kann Blaschkes materialreiches Buch durch den populären sportlichen Zugang - es wurde sogar auf den Fanseiten von Bayern München und des FC St. Pauli gewürdigt - eine größere Leserschaft erreichen als die meist trocken-wissenschaftlich orientierten Abhandlungen zum Thema Kolonialismus.
Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.gwi-boell.de