Das europäische Asylrecht

Was regelt das europäische Asylrecht? Was ist die Dublin III-Verordnung? Was bedeutet das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS)? Ein Überblick über den aktuell gültigen europäischen Rechtsrahmen.

EU-Landkarte mit Grenzposten und Menschen, die davor warten

Was ist die Dublin-Verordnung?

Flüchtlinge, die in Europa Asyl beantragen wollen, können dies nicht in einem beliebigen Land tun. Seit 2003 müssen sie sich an die Dublin-Verordnung halten. Die Dublin-Verordnung ist eine europarechtliche Verordnung, die mittlerweile in der dritten Fassung existiert (daher heißt sie „Dublin III“). Sie regelt, welcher europäische Mitgliedsstaat für die Durchführung des Asylverfahrens eines Geflüchteten zuständig ist. Es gilt das Verursacherprinzip, das heißt, dem Mitgliedstaat, der die Einreise eines oder einer Geflüchteten in die EU „verursacht“ hat, obliegt auch die Durchführung des Verfahrens.

Konkret bedeutet dies: Das Land, in dem Geflüchtete erstmals in der EU registriert wurden, ist für ihr Asylverfahren zuständig. Wenn Geflüchtete auf eigene Faust in ein anderes EU-Land weiterreisen, können sie von dort in das Land zurückgeschickt werden, in dem sie zum ersten Mal registriert wurden. Mitgliedsstaaten müssen sich jedoch nicht an diese Regelung halten, sondern können auch von ihrem „Selbsteintrittsrecht“ Gebrauch machen, also entscheiden, das Asylverfahren eines Flüchtlings zu übernehmen, auch wenn der zuerst in einem anderen EU-Land angekommen ist. 

Gründe dafür gibt es zuhauf, denn nicht in allen europäischen Ländern wird das internationale Flüchtlingsrecht hinreichend beachtet.  In Ungarn können Asylsuchende einen Asylantrag gar nicht stellen. Geflüchtete müssen zunächst das Hoheitsgebiet Ungarns verlassen und in der ungarischen Botschaft in Serbien oder in der Ukraine vorstellig werden.[1] Überstellungen nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens sind daher in aller regel unmöglich.[2] Weitere Gründe für ein Aussetzen der Dublin-Verordnung können Zweifel an den Sozialstandards in anderen EU-Ländern sein.[3] Nicht nur in Italien, auch in Griechenland, Rumänien, Bulgarien[4], Kroation oder Polen klagen Geflüchtete über Gewalterfahrungen, mangelnde Standards und drohende pushbacks, also völkerrechtswidrige Abschiebungen in Nachbarländer[5]. Schließlich verweigern einige europäische Länder eine Aufnahme im Rahmen der Dublin III – Verordnung (z.B. Italien)[6] oder beschränken die Möglichkeiten einer Überstellung auf wenige Tage (z.B. Kroatien). 

Stellen Geflüchtete, die zunächst einen anderen Dublin III – Vertragsstaat registriert wurden,  einen Asylantrag in Deutschland, wird dieser oftmals als „unzulässig“ abgelehnt. Ihr Asylantrag wird in diesem Fall nicht inhaltlich beschieden, sondern wegen Unzuständigkeit der deutschen Behörden aus formalen Gründen abgelehnt. Darüber hinaus wird die Überstellung in das für die Asylprüfung zuständige Land angekündigt. Dagegen können Schutzsuchende innerhalb von einer sehr kurzen Frist von einer Woche mit Klage und Eilantrag vorgehen. 

Ob Rechtsmittel aussichtsreich und sinnvoll sind, muss gut überlegt sein: Unter Umständen verlängert sich damit nur die Überstellungsfrist, innerhalb derer eine Abschiebung in den zuständigen Dublin-Vertragsstaat möglich ist. Sie beträgt sechs Monate (bei Untertauchen: 18 Monate) und beginnt nach Ablehnung des Eilantrags von vorne. Nach Ablauf der Frist wird Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.

Was bedeutet das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS)?

Nach acht Jahren und unterschiedlichen Vorschlägen sowie langer Verhandlungen wurde die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) am 10. April 2024 durch das Europäische Parlament beschlossen. Er sieht u.a. verpflichtende Grenzverfahren unter Haftbedingungen – auch für Kinder – sowie abgesenkte Standards für sogenannte „sichere Drittstaaten“ und zusätzliche Verschärfungen im Fall von „Krisen“ vor. Damit stellt die Reform eine massive Verschlechterung des bisherigen EU-Asylrechts dar. 

Der neue Pakt für Migration und Asyl ist ein äußerst komplexes Regelwerk mit insgesamt etwa 2000 Seiten. Er soll ab 2026 – zwei Jahre nach Inkrafttreten – angewendet werden. Das Vertragswerk umfasst insbesondere die folgenden Rechtstexte:

  • Screening-Verordnung: Personen ohne eine Einreiseerlaubnis müssen sich identifizieren und registrieren lassen, zudem werden sie einer Sicherheitskontrolle unterzogen und amtsärztlich untersucht. Darüber hinaus wird geprüft, ob sie besonders schutzbedürftig sind. Nach Abschluss des Screening wird entschieden, ob ein Asyl- oder ein Abschiebungsverfahren eingeleitet wird.  
  • Asylverfahrensverordnung: Die Verordnung regelt ein gemeinsames europäisches Verfahren für die Erteilung und den Entzug internationalen Schutzes. Die EU-Mitgliedsstaaten werden u.a. verpflichtet, beschleunigte Grenzasylverfahren für Schutzsuchende durchzuführen, die aus einem Land kommen, dessen durchschnittliche unionsweite Anerkennungsquote im vergangenen Jahr unter 20% lag. 
  • Verordnung zur Rückführung an den EU-Außengrenzen (Return Border Procedure Regulation): Sie regelt die Vorschriften zur Abschiebung an den EU-Außengrenzen.
  • Asyl- und Migrationsmanagementverordnung: Diese Verordnung löst die „Dublin-Verordnung“ ab und enthält Regelungen zur Bestimmung der Zuständigkeit in Asylverfahren. U.a. soll die Überstellungsfrist von bislang sechs Monaten verlängert und eine Weiterflucht in andere EU-Staaten (sog. „Sekundärmigration“) erschwert werden. Ein „Solidaritätsmechanismus“ soll der „Entlastung“ von Mitgliedsstaaten dienen, die besonders hohe Zahlen von Schutzsuchenden nachweisen können. Allerdings können sich Mitgliedstaaten von der Verpflichtung zur Übernahme von Schutzsuchenden auch freikaufen und z.B. Finanzbeiträgen für einen verstärkten Ausbau von Grenzsicherungsanlagen leisten. 
  • Krisenverordnung: Diese Verordnung räumt den EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, in Krisensituationen und Situationen „höherer Gewalt“ für einen begrenzten Zeitraum die ohnehin herabgesenkten Standards weiter zu unterschreiten. Dies könnte z.B. bei einer festgestellten „Instrumentalisierung von Migrant:innen“ der Fall sein. 
  • Eurodac Verordnung: Die Verordnung regelt die Speicherung von personenbezogenen Daten in der EURDAC Datenbank, auf die alle Mitgliedstaaten Zugriff haben. Damit soll die sog. Sekundärmigration innerhalb der EU eingeschränkt werden.
  • Anerkennungs-Verordnung: Die Verordnung regelt die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes und des subsidiären Schutzes.
  • Richtlinie über Aufnahmebedingungen: Sie enthält Mindeststandards für die Aufnahme von Schutzsuchenden. Dazu zählen Vorgaben zu Sprachkursen und zur Gesundheitsversorgung, aber auch zur Inhaftierung von Schutzsuchenden als „letztes Mittel“.
  • Resettlement-Verordnung: Diese Verordnung regelt die Umsiedlung von besonders schutzbedürftigen Drittstaatsangehörigen aus Drittstaaten in EU-Mitgliedsstaaten.
  • EU-Asylagentur-Verordnung: Die EU-Asylagentur (EUAA) soll die Anwendung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems überwachen.

In der Planung sind darüber hinaus eine Überarbeitung der Rückführungsrichtlinie sowie die Überarbeitung der Daueraufenthaltsrichtlinie zur Regelung des Aufenthalts für Drittstaatsangehörige mit einem mehr als 5-jährigen Aufenthaltsrecht in der EU.

Im Fokus der öffentlichen Kritik steht vor allem das sog. „Grenzasylverfahren“ mit dem Ziel, einen Teil der Schutzsuchenden bereits an den Außengrenzen in die Herkunftsländer bzw. in „sichere Drittländer“ abzuschieben, sowie die mit der sog. „Krisenverordnung“ geschaffene Möglichkeit, Rechtsstandards befristet abzusenken. 

„Die Reform des EU Asylsystems ignoriert die Grundprinzipien des Flüchtlingsrechts“, 

kommentiert Anna Suerhoff vom Deutschen Institut für Menschenrechte[7]. Bei der Auslagerung von Asylverfahren in sogenannte „sichere Drittstaaten“ drohe die Gefahr, dass in diesen Staaten kein faires Asylverfahren durchgeführt wird und Schutzgründe nicht ausreichend geprüft werden. „Das verstößt aber gegen das Refoulement Verbot der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Demnach darf niemand in ein Land zurückgewiesen werden, in dem ihm Verfolgung oder eine Abschiebung ins Herkunftsland droht, wenn dort Verfolgungsgefahr besteht.“[8]