Migration und rechte Diskurse

Hetze gegen Einwanderung im Allgemeinen und Geflüchtete im Besonderen sind bekannte Parolen rechtsradikaler Parteien. Die zentralen Argumentationsmuster werden hier beschreiben. Gefährlich werden sie, wenn Parteien des demokratischen Spektrums glauben, diese Behauptungen übernehmen zu müssen, Damit werden Menschenrechtsverletzungen als politische Strategien normalisiert. 

Menschen in einer Debatte

In einer Umfrage nach den drängendsten Problemen der Zeit erklärten im Oktober 2023 44% der befragten Bundesbürgerinnen und -bürger „Flucht und Migration“ zum wichtigsten Anliegen. Das Thema „Umweltschutz und Klimawandel“ folgte mit 18% der Nennungen erst in weitem Abstand an zweiter Stelle. In einer weltweiten Umfrage des Portals Statista, ebenfalls von 2023, wurde dagegen Migration nur von 12% der Befragten als eine der drei größten Herausforderungen genannt.

Gerade in den Industrieländern Europas sowie in den USA ist die Meinung weit verbreitet, die Migration habe bisher ungekannte Ausmaße erreicht und steige stetig weiter. Dies ist allerdings ein Irrtum. Von internationaler Migration spricht man, wenn eine Person ihren Lebensmittelpunkt für mehr als ein Jahr vom Land ihrer Geburt in ein anderes verlegt. Die Anzahl solcher Personen ist zwar in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen, zugleich ist aber auch die Weltbevölkerung insgesamt stetig angewachsen. So hat sich der Anteil von internationalen Migrantinnen und Migranten an der Weltbevölkerung nur langsam verändert: von 2,8% im Jahr 2000 auf 3,5% im Jahr 2020.

Andere Untersuchung zeigen schon länger, dass grenzüberschreitende Migration nur einen kleinen Teil der weltweiten Wanderungsbewegungen darstellt, nämlich ca. 0,6%. Zudem bewegen sich die meisten Wanderungen innerhalb von Kontinenten oder Weltregionen. Dies gilt auch für die Bundesrepublik Deutschland: Vom Jahr 2015 einmal abgesehen, kamen in den letzten Jahren drei Viertel aller Zugewanderten aus der EU oder anderen europäischen Staaten.[1]

Migration ist die Mutter aller Gesellschaften. Sie hat es gegeben, seit die ersten Vertreter_innen des modernen Menschen vor 70.000 Jahren Afrika verließen; durch Wanderungen haben sich die Menschen über den gesamten Erdball ausgebreitet, und nur so konnte die heutige Vielfalt der Kulturen entstehen.

Dennoch ist ein Teil der Bevölkerung Europas der Meinung, Zuwanderung sei für die eigene Gesellschaft schädlich. Die Zahl der Menschen, die so denken, hat in den meisten europäischen Ländern in den letzten Jahren zugenommen. Die Ablehnung des Zusammenlebens mit Menschen, die als fremd empfunden werden, ist umso stärker, je weniger eigene praktische Erfahrung vorhanden ist.

Ideologische Begründungen


Wenn die eigene Erfahrung fehlt, müssen andere Begründungen für diese ablehnende Haltung gefunden werden. Lange Zeit wurde die Biologie ins Feld geführt, um zu beweisen, dass die Menschheit in „von Natur aus“ unterschiedliche Gruppen mit verschiedenen Eigenarten und Fähigkeiten zerfalle. Dieses pseudo-wissenschaftliche Argument diente als Rechtfertigung für koloniale Unterdrückung, Sklaverei und verschiedene Ausdrucksformen des Rassismus. Inzwischen sind sich alle seriösen Wissenschaftler_innen einig, dass es so etwas wie menschliche „Rassen“ nicht gibt. Auf der Ebene der Emotionen hält sich aber bei vielen Menschen dennoch ein „Rassismus ohne Rassen“.[2] Als Ersatz für eine biologische Begründung werden heute „kulturelle“ Unterschiede zwischen Menschengruppen angeführt. Dies ist die Argumentation von Teilen der Rechtsextremen, wie z. B. der „Identitären Bewegung“. Unter dem Stichwort „Ethnopluralismus“ behaupten sie, dass die „kulturellen“ Unterschiede zwischen „Völkern“ quasi natürlich und weitgehend unveränderlich seien. Die Konsequenz daraus ist der Vorschlag, dass die „Völker“ am besten getrennt voneinander leben sollten. Kontakt wird als „Vermischung“ und damit als Bedrohung des eigenen „Volkes“ interpretiert. Auch solche kulturrassistische Ideologien dienen dazu, rassistische Praktiken und Privilegien zu rechtfertigen.

Kriminalität

Auch wenn es immer wieder behauptet wird: Kriminalität ist nie eine Frage des Passes, sondern immer eine Frage von Perspektiven und von Lebenslagen. Menschen nichtdeutscher Herkunft sind generell genauso kriminell wie die Durchschnittsbevölkerung. Sie sind weder besser noch schlechter als Einheimische. Bei einem Vergleich von Einheimischen mit Eingewanderten aus ähnlichen demografischen Strukturen, also im gleichen Alter, mit einer vergleichbaren Bildung und einer ähnlichen Geschlechterverteilung, unterscheidet sich die Kriminalität zwischen diesen beiden Gruppen kaum.

Um die Kriminalitätsstatistik der Polizei zu analysieren, müssen zunächst die Faktoren berücksichtigt werden, die zu einer Verzerrung der Ergebnisse im Rahmen der Erhebung der „Kriminalitätsbelastungsziffer“ führen: Zum einen werden in ihr Tatverdächtige erfasst und nicht Täter_innen. Das heißt, sie spiegelt oft eher die Anzeigebereitschaft der Bevölkerung oder den Verfolgungseifer der Polizei als die letztendlich festgestellten Taten und Täter*innen.  Außerdem  sind zahlreiche Delikte, wie z.B. Steuer- und Zollvergehen in der Statistik nicht enthalten. Andererseits können manche Verstöße, beispielsweise gegen das Aufenthaltsgesetz, von deutschen Staatsangehörigen gar nicht begangen werden[3] Schließlich sind Männer in der Kriminalitätsstatistik erheblich häufiger registriert als Frauen. Bei einer vorwiegend männlichen Flüchtlingspopulation ist insofern schon statistisch auch ein höherer Anteil an Straftaten zu erwarten.

Darüber hinaus sind Geflüchtete und Migrant*innen überproportional oft von Faktoren betroffen, die Kriminalität begünstigen: Ein Faktor ist natürlich die soziale und ökonomische Lage, in der sich Menschen befinden. Auch Gewalterfahrungen, die Menschen im Herkunftsland bzw. auf dem Fluchtweg gemacht haben, gehen nicht spurlos an den Betroffenen vorbei.  Gewalt begünstigende Formen der Unterbringung, lang anhaltende Phasen der Statusunsicherheit und Maßnahmen zur gesellschaftlichen Ausgrenzung (z.B. durch eine diskriminierende Bezahlkarte) können Faktoren sein, die kriminogenes Verhalten begünstigen.

Der empirisch feststellbare Anstieg nichtdeutscher Tatverdächtiger in der Kriminalitätsstatistik wirft insofern ein schlechtes Licht auf die sozioökonomische Bedingungen, Bildungschancen und Teilhabemöglichkeiten, denen Migrant*innen und Geflüchtete unterworfen sind. Durch eine bessere Bildung, einen leichteren und schnelleren Zugang zu Arbeitsmöglichkeiten und kulturelle Teilhabe können wir, wie Innenministerin Behrens ausführt, „dazu beitragen, dass alle Mitglieder unserer Gesellschaft gleiche Chancen haben und sich als Teil einer gemeinsamen Gesellschaft fühlen“[4].

Besondere Aufmerksamkeit seitens der Strafverfolgungsbehörden gilt in letzter Zeit der sogenannten „Clan-Kriminalität“. Es geht dabei um Taten, die von Angehörigen angeblich krimineller „Großfamilien“ verübt werden. Nicht zufällig wird der Begriff der „Clan-Kriminalität“ ursprünglich und bis heute auf Roma- und Sinti-Familien angewendet und spiegelt insofern den strukturellen Rassismus der Verfolgungsbehörden in Deutschland wider. Dass der Begriff dann umstandslos auch Anwendung auf geflüchtete Familien aus dem libanesischen Bürgerkrieg fand, spricht für sich. Dabei soll die Kriminalität bestimmter Personen und Familien gar nicht bestritten oder verharmlost werden. Problematisch ist vielmehr, dass die Ursachen und Hintergründe für die Herausbildung schwerkrimineller Netzwerke nicht auf äußere Umstände wie Kriegserfahrungen und Rahmenbedingungen einer Politik zurückgeführt werden, die Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Libanon in den 80er und 90er Jahren nur geringe Chancen auf Teilhabe einräumte, sondern auf „kriminelle Clanstrukturen“ und die kollektive Herkunft aus bestimmten Ländern bzw. Regionen.[5] 

Terrorismus

Spätestens seit dem 11. September 2001 und dem anschließenden „war on terror“ ist die Befürchtung verbreitet, islamistische Terroristen könnten sich als Flüchtlinge tarnen und Anschläge in Europa verüben. In diesem Zusammenhang sprechen die Sicherheitsbehörden von „Gefährdern“. Diesem Begriff mangelt es jedoch an Definitionsschärfe. Als „Gefährder“ gilt eine Person, „bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen“ könnte. Ein „Gefährder“ kann unter Aushebelung der Unschuldsvermutung von polizeilichen Maßnahmen betroffen werden. Teil dieses Diskurses ist der regelmäßige Ruf nach härteren Gesetzen. Solche Rufe tragen zu einer fremdenfeindlichen Stimmung bei, dienen aber in der Regel nicht einer Verbesserung der allgemeinen Sicherheit. Bei den meisten Amoktaten der letzten Jahre, egal ob die Täter Deutsche oder Nichtdeutsche waren, stellte sich heraus, dass Hinweise auf menschenfeindlichen Fanatismus oder psychische Labilität nicht rechtzeitig beachtet wurden. In anderen Fällen, wie z.B. bei dem Messerangriff in Mannheim im Juni 2024, bei dem ein Polizist zu Tode kam, war der mutmaßliche Täter zuvor in keiner Weise auffällig geworden. Schärfere Gesetze hätten diesen Fall also nicht verhindern können. Selbstverständlich müssen terroristische Straftaten mit der ganzen Härte des Gesetzes verfolgt werden. Es verbietet sich aber, aus Einzelfällen generelle Rückschlüsse auf ganze Gruppen von Geflüchteten zu ziehen. Die NSU-Mörder stehen ebensowenig für „die Deutschen“ wie der Attentäter von Mannheim für „die Afghanen“.

Islamisierung

Mit diesem Begriff wird ein Szenario bezeichnet, demzufolge der Islam in Deutschland immer weiter an Gewicht gewinnen und andere religiöse und kulturelle Traditionen verdrängen werde. Populär wurde diese Verschwörungserzählung zunächst durch Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ von 2010, seitdem ist sie in der rechtspopulistischen Debatte allgegenwärtig. Die Erzählung besteht aus zwei Elementen: Zum einen wird behauptet, Muslime wollten durch eine höhere Geburtenrate die Bevölkerungsmehrheit erreichen. Angesichts eines gegenwärtigen Anteils von ca. 5,5 % ist das allerdings keine realistische Perspektive. (Die meisten Bundesbürger schätzen ihren Anteil allerdings auf  ca. 20%.)[6] 

Daneben steht ein Diskurs des Kulturkampfes: Angebliche Zugeständnisse gegenüber vermeintlich religiös begründeten Wünschen von Eingewanderten (die im Übrigen teilweise schon seit Generationen in Deutschland leben und deutsche Staatsbürger_innen sind) werden als Bedrohung „unserer Kultur“ dargestellt und empfunden. Daher ist es nicht erstaunlich, dass besonders in Schulen umstrittene Themen ausgemacht werden: vom Speiseplan in der Mensa bis zu Schwimmkursen für muslimische Mädchen. Die Religionszugehörigkeit dient hier als Merkmal, um das „Eigene“ vom „Fremden“ abzugrenzen. Dieser anti-muslimische Diskurs verschweigt , dass viele Geflüchteten gar keine strenggläubigen Muslime sind. Im Gegenteil, viele von ihnen sind gerade vor islamischen Fundamentalisten aus ihren Heimländern geflüchtet. Des Weiteren wird die enorme Bandbreite an Glaubenshaltungen und Formen der Lebensführung innerhalb des Islam unsichtbar gemacht. Stattdessen werden durch rechtsextreme Propaganda (vor allem im Netz) grob übertriebene oder sogar gänzlich erfundene Einzelfälle als Argument für die angebliche „Islamisierung“ angeführt.

„Parallelgesellschaften“

Wenn Menschen in ein für sie fremdes Land einwandern (sei es freiwillig oder unter dem Druck von Vertreibung), wenden sie sich auf der Suche nach Unterstützung naheliegenderweise zunächst an Personen, die sie kennen oder mit denen sie zumindest Sprache und Kultur teilen. So kommt es, dass Eingewanderte der ersten Generation sich oft in bestimmten Straßenzügen oder Stadtvierteln konzentrieren. Dies wird – wie so mancher Ausdruck von Veränderung – von vielen Einheimischen als bedrohlich empfunden. Wenn Politiker_innen hier von „Parallelgesellschaften“ sprechen und einen Zusammenhang mit Kriminalität oder Terrorismus herstellen, bedienen sie diese Ängste noch. Ordnungspolitische Maßnahmen wie Zuzugsbeschränkungen täuschen politisches Handeln vor, ändern aber nichts an den Motiven, die die Zuwander_innen veranlassen, sich zusammenzuschließen. Wie zahlreiche historische Beispiele zeigen, ist die schnelle Integration in die Aufnahmegesellschaft durch den Zugang zu Arbeit das wirkungsvollste Mittel gegen die Verfestigung von „Parallelgesellschaften“.

Kosten

Nicht zuletzt wird die Ablehnung von Geflüchteten häufig auch mit den finanziellen Mitteln begründet, die für Aufnahme und Integration bereitgestellt werden müssen. In der Tat ist es richtig: Flüchtlinge zu schützen kostet Geld. Aber: das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht, das nicht aus ökonomischen Gründen aufs Spiel gesetzt werden darf. Wir kämen auch nicht auf die Idee, freie Wahlen oder eine unabhängige Justiz abzuschaffen, weil sie Geld kosten. Zudem ist nicht zu leugnen, dass Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen Zuwanderung braucht, weshalb sich gerade Arbeitgeber_innen sowohl grundsätzlich als auch in vielen Einzelfällen für den Verbleib von Geflüchteten aussprechen. 

Damit Geflüchtete in den Arbeitsmarkt integriert werden können, braucht es Unterstützung und weniger Bürokratie. Für ihre Unterbringung und Versorgung, die Bereitstellung von Sprachkursen und die Beschulung der Kinder sind die Kommunen und Landkreise zuständig, denen die Geflüchteten von den Erstaufnahmeeinrichtungen zugeteilt wurden. Hier fehlt es oft nicht nur an Geld, sondern vor allem an geeigneten Räumlichkeiten und ausreichend Personal.  Zwar besteht für Geflüchtete oft schon nach sechs Monaten theoretisch ein Recht zu arbeiten, das Verfahren zur Prüfung der „Arbeitsbedingungen“, das der Arbeitserlaubniserteilung vorgeschaltet ist, ist aber bürokratisch gestaltet und zieht sich oft übermäßig lange hin.

Verbreitete Befürchtungen, die Aufnahme von Geflüchteten in großer Zahl würde unsere sozialen Sicherungssysteme überfordern, entsprechen offenkundig nicht der realen Situation: Von den Geflüchteten, die 2015, im Jahr der sogenannten „Flüchtlingskrise“ nach Deutschland gekommen waren, waren 2024 68% erwerbstätig – Tendenz steigend. Sie leisten dringend erforderliche Arbeiten auf unterschiedlichen Qualifikationsniveaus und tragen durch Steuern und Sozialabgaben zur Aufrechterhaltung unseres Sozialsystems bei.[7]

Desinformationen

Trotz dieser Tatsachen bemühen sich insbesondere rechtsgerichtete Parteien, mit Hetze gegen Migration Wählerinnen und Wähler gewinnen. Falsche Zahlen über „illegale“ Einreisen oder angebliche Kriminalität von Einwanderern werden von verschiedenen Medien, insbesondere im Netz, ungeprüft übernommen und so oft wiederholt, dass viele Menschen sie für Wahrheit halten. Aber auch die Parteien der „Mitte“ tragen zu diesem Diskurs bei, indem sie darauf verzichten, Falschinformationen richtigzustellen. In dem Bemühen, „die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen“, nähern sie sich vielmehr in Politik und Ausdrucksweise den Forderungen der extremen Rechten an.

Bilder von Migration und Ängste

Die Soziologen Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser haben sich in ihrer Untersuchung „Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft“ mit der Behauptung beschäftigt, unsere Gesellschaft sei in zwei Lager gespalten. Sie weisen diese Feststellung zurück, konstatieren aber zugleich, dass die Ränder im Meinungsspektrum immer weiter auseinanderdriften und zugleich erstarken. Auf lange Sicht könnten diese Tendenzen also durchaus zu Spaltungen führen. Allerdings verlaufen die Gräben in verschiedenen Meinungsfeldern durchaus unterschiedlich. 

Wo es um Zugehörigkeit und Ausgrenzung geht, werden vor allem zwei Befürchtungen laut. Die eine bezieht sich auf einen möglichen Kontrollverlust. Bilder von „Fluten“, aber auch von Schmuggel, d.h. von Umgehung bestehender Regeln, bestimmen diese Befürchtungen. Manchmal steigern sie sich zu der rhetorischen Frage, ob denn „alle Armen der Welt“ oder „ganz Afrika“ in Deutschland Zuflucht finden sollten. Dass das konkret überhaupt nicht zur Debatte steht und auch nie stand, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, denn solche Ängste sind nicht rational. Dennoch wäre es hilfreich, wenn sich die Vertreterinnen und Vertreter der Politik immer wieder die Mühe machen würden, solche Befürchtungen auf den Boden der Realität zurückzuholen, anstatt sie mit Abschottungsszenarien zu beantworten.

Die zweite Befürchtung betrifft den Zugang zu sozialen und politischen Rechten. Polemische Vokabeln wie Trittbrettfahrer“ oder Sozialtourismus“ zeigen, worum es geht. Hier haben die Forscher tatsächlich eine beginnende Spaltung unter ihren Befragten festgestellt. Während die Mehrheit Zuwanderung grundsätzlich als ökonomisch und kulturell wünschenswert beurteilt, ist ein nennenswerter Teil (ca. ein Drittel) der Meinung, es gebe „zu viele“ Einwanderinnen und Einwanderer. Von diesen Befragten wird auch ein „Fremdheitsgefühl im eigenen Land“ beklagt.[8] Solche Vorbehalte sind insbesondere in den gesellschaftlichen Sektoren zu finden, die sich gegenüber zugezogenen Gruppen in einem Konkurrenzverhältnis sehen und den Eindruck haben, ihre eigenen grundlegenden Interessen würden vernachlässigt. Sie interpretieren ihre Position daher als einen „ethnischen Wettbewerb“. Die Einstellung, Zuwanderer*innen sollten in ihrem Zugang zu sozialstaatlichen Leistungen beschränkt werden, bezeichnet die Forschung als „Wohlstandschauvinismus“. Eine hohe Wertschätzung für wohlfahrtsstaatliche Leitungen (für die eigene Gruppe) wird von Vorbehalten gegenüber zugewanderten Bedürftigen begleitet. Fake News mit dem Tenor, Zugewanderte oder Geflüchtete würden sich in unserem System Leistungen erschleichen (existenzsichernde Geldzahlungen, medizinische Behandlungen usw.) verfangen in diesem Milieu ganz besonders.

 Wohlfahrtschauvinistische Einstellungen haben sowohl ökonomische als auch kulturelle Motive. „Dass „falsche“ oder „nicht-berechtigte“ Gruppen Leistungen beziehen, wird besonders dann moniert, wenn man sich selbst nicht in einer ökonomisch auskömmlichen Position befindet.“ (Mau et al., S.131f). Die kulturellen Gründe sind komplexer und hängen von verschiedenen Faktoren ab, u.a. auch davon, um wen es sich bei der konkurrierenden Gruppe handelt. So war die Einstellung der Befragten gegenüber Flüchtlingen aus der Ukraine deutlich positiver als z.B. bei Geflüchteten aus muslimischen Ländern oder dem südlichen Afrika.

Mit den Geflüchteten fängt es an…

Hetze gegen Einwanderung im Allgemeinen und Geflüchtete im Besonderen gehört zum Kernbestand des Parolenarsenals rechtsradikaler Parteien. Das gilt für die AfD in Deutschland wie für ihre neofaschistischen und reaktionären Gesinnungsgenoss_innen in ganz Europa. Die wichtigsten Argumentationsmuster sind hier kurz skizziert worden. Besonders gefährlich werden sie, wenn Parteien des demokratischen Spektrums glauben, diese Behauptungen und politischen Reaktionen übernehmen zu müssen, in der Annahme, sie könnten der extremen Rechten Stimmen und Anhängerschaft abjagen. Damit werden Falschbehauptungen und menschenfeindliche Pauschalurteile salonfähig gemacht und Menschenrechtsverletzungen als politische Strategien normalisiert. Diese „demokratischen“ Politiker_innen übersehen, dass sie damit der Erosion unserer Grundrechte und der Verfassung Tür und Tor öffnen. „Es ist kein Zufall, dass Angriffe auf das Recht oft zuerst im Umgang mit Migrant*innen geschehen, sich also gegen diejenigen richten, die vergleichsweise wenig Schutz und Solidarität erfahren. Von dort ist der Weg nicht weit zu Angriffen auf andere Gruppen.“[9] 

Wenn die Zivilgesellschaft gegen das aggressive Vordringen der Rechtsradikalen aufsteht und auf die Straße geht, wenn sie sich organisiert und vernetzt, wenn sie Rechtlose verteidigt und Gefährdete in Schutz nimmt, schützt sie damit letzten Ende sich selbst, also uns alle.


[2] Étienne Balibar und Immanuel Wallerstein: Rasse, Klasse, Nation. Hamburg 1990, 1. Auflage, S. 28

[8] Steffen Mau, Thomas Lux, Linus Westheuser: Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgsellschaft, Berlin 2023, S. 126ff.

[9] Arne Semsrott: Machtübernahme. Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren. Mänchen 2024, S.113.


 [VE1]Diesen Satz möchte ich gerne rauslassen - oder noch weiter konkretisieren.