Wider die große Hilflosigkeit gegenüber AfD und BSW

Kommentar

Immer mehr Menschen haben offenbar den Eindruck, dass in Deutschland und Europa alles den Bach runtergeht und von der Zukunft nichts Gutes erwartet werden kann. Es ist die Aufgabe und Verantwortung demokratischer Parteien, dieser Annahme entgegenzuwirken, anstatt sich gegenseitig zu zerfleischen. 

Glaskuppel Bundestag

„Ich bin es so leid, wie ein Huhn in die Richtung der Körner zu rennen, die Orbán ständig in die Luft wirft“, so beschrieb mir vor Jahren eine Theaterschaffende in Ungarn die Situation und den Zustand der demokratischen Opposition in Politik und Zivilgesellschaft. Wenn Viktor Orbán seine politischen Gegnerinnen und Gegner in Budapest oder anderswo durch den Alltag scheucht, ist ihm die Freude anzusehen. Mit seiner demokratiefeindlichen Haltung und Strategie ist der ungarische Ministerpräsident innerhalb und außerhalb Europas nicht alleine. In Deutschland profitieren von seinem Erfolgsrezept mittlerweile zwei Parteien: die AfD und das BSW. 

Laut und autoritär verfängt immer mehr

Ob autokratische Regierungen à la Orbán, rechtsextreme Hetzparteien wie die AfD oder Vorsitzende linksnationaler Bündnisse wie Sahra Wagenknecht: Sie lieben es, andere vor sich herzutreiben, und freuen sich ungemein, wenn das gesellschaftliche Auditorium mal wieder so richtig in Aufruhr ist. Sie ticken autoritär, reden laut und fluten den öffentlichen Diskurs mit Ressentiments und Desinformation. Sie lieben das Rampenlicht und beherrschen die Fähigkeit, Empörungspotenziale in den sozialen Medien für sich zu nutzen, wobei Trollfabriken und neo-imperialistische Regime wie Russland und China gerne mitmischen und behilflich sind. Sie alle verfolgen das Ziel, unsere Gesellschaften in einen dauerhaften Kampfzustand zu versetzen, Konflikte zu entfachen oder zu schüren. Denn sie profitieren davon, wenn Bürgerinnen und Bürger in Europa demokratischen Institutionen und einander misstrauen. Sie profitieren von der Erzählung, liberale Demokratien seien marode und auf dem absteigenden Ast. Ihr Erfolg nährt sich aus Misstrauen, Neid, Angst, Wut, Hass und Zwietracht.  

Was AfD und BSW behaupten

Wie in vielen anderen EU-Mitgliedstaaten spielt es ihnen auch in Deutschland in die Hände, wenn ihre politischen Gegnerinnen und Gegner meinen, sie müssten aus taktischen Gründen bestimmte Narrative bedienen oder bestimmte Fragen meiden. Dabei liegt es eigentlich auf der Hand: Politikerinnen und Politiker, denen die Zukunft der liberalen Demokratie in Deutschland und anderswo am Herzen liegt, müssten aus den Eskalationsspiralen aussteigen. Sie sollten Wege aus dem vergifteten politischen Klima finden und der Versuchung widerstehen, den Kontrollverlust in den Politikbereichen Wirtschaft, Industrie, Bildung, Migration und innere Sicherheit heraufzubeschwören. Denn diese Erzählung verstärkt die von der AfD und nun auch dem BSW tagein, tagaus vorgekaute Behauptung, dass der deutsche Staat am Abgrund stehe und „die Eliten“ den Kontakt mit der Realität und den „normalen Leuten“ verloren hätten. 

Immer mehr Menschen haben offenbar den Eindruck, dass in Deutschland und Europa alles den Bach runtergeht und von der Zukunft nichts Gutes erwartet werden kann. Es ist die Aufgabe und Verantwortung demokratischer Parteien, dieser Annahme entgegenzuwirken, anstatt sich gegenseitig zu zerfleischen. 

Demokratische Parteien untergraben ihre eigene Glaubwürdigkeit

Markus Söder mag es taktisch klug finden, mit aufheizender Rhetorik durch den politischen Alltag zu wettern, die Grünen als Gefahr für das Land darzustellen, auf Bundesebene eine Zusammenarbeit kategorisch auszuschließen und sie für alle Ewigkeit auf die Oppositionsbank zu verdammen. Die Junge Union mag Jens Spahn bei ihrem Deutschlandtag 2024 applaudieren, wenn er erzählt, Mieten in Innenstädten könnten sich vielfach nur noch „Gutverdiener oder Bürgergeldempfänger“ leisten.

Es mag Klick- und Zuschauerzahlen bringen, wenn man toxische Sprache einsetzt und der Bundesregierung in Schnappatmung Versagen auf allen Ebenen vorwirft. 

Es mag für die Ampelkoalition wiederum verlockend sein, ohne vorausschauende Abstimmung mit den europäischen Nachbarn und ungeachtet ihrer Kritik temporäre Binnengrenzkontrollen zur „Begrenzung irregulärer Migration“ auszuweiten, um innenpolitisch Stärke und Sicherheit zu vermitteln. 

Die SPD und CDU in Brandenburg, Sachsen und Thüringen mögen es nach den Erfolgen der AfD bei den Landtagswahlen und für zukünftige Verhandlungen mit dem BSW für eine raffinierte Idee halten, dass Dietmar Woidke, Michael Kretschmer und Mario Voigt in einem gemeinsamen Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung behaupten, Deutschland und die EU hätten zu unentschlossen den Weg verfolgt, Russland an den Verhandlungstisch zu bringen. 

Aber diese Taktiken tragen vor allem zu einem Glaubwürdigkeitsverlust demokratischer Parteien in Deutschland, einem Vertrauensverlust Deutschlands bei unseren europäischen Partnern und der Normalisierung rechtsextremer sowie linksnationaler Positionen bei. Sie sind die falsche Antwort auf den Rechtsruck in Deutschland und Europa und aus demokratiepolitischer Perspektive ein Armutszeugnis. 

Es gilt, Missstände zu kritisieren und Herausforderungen zu bewältigen

Das heißt natürlich nicht, dass es keine Herausforderungen zu bewältigen oder Missstände zu kritisieren gibt. Seit fast drei Jahren beschäftigt die Bundesregierung und die demokratische Opposition im Bundestag die Frage, wie Deutschland die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung und Freiheit unterstützen, Druck auf Russland ausüben und zu einem nachhaltigen Frieden in Europa beitragen kann. Es ist im Hinblick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht nachvollziehbar, warum in Deutschland im wirtschafts- und industriepolitischen Bereich Abhängigkeiten von Russland zementiert wurden, die uns angreifbar gemacht haben. 

Notwendige Investitionen in technische und soziale Infrastrukturen wurden über Jahrzehnte verschleppt, oft mit gravierenden Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse derer, die besonders auf öffentliche Versorgungsstrukturen angewiesen sind. Die dramatischen und kostspieligen Folgen des Klimawandels wurden zugleich zu lange ignoriert oder klein geredet. Blockadehaltungen gegen erforderliche Transformationsprozesse hängen offensichtlich mit Gerechtigkeitsfragen, demographischen Trends und ungeklärten Lastenverteilungen zusammen, die in unserer Gesellschaft Unsicherheit und Ängste auslösen. Zudem möchten viele Bürgerinnen und Bürger verständlicherweise wissen, wie die Aufnahme und Integration von Geflüchteten in Deutschland gelingen und Solidarität auf europäischer Ebene praktiziert werden kann. 

Spätestens seit der letzten Europawahl stellt sich außerdem die Frage, warum sich so viele junge Wählerinnen und Wähler in Europa von rechtsextremen Parteien angezogen fühlen. Wie können demokratische Parteien, Medien und Zivilgesellschaft diese zukünftig erreichen und gewinnen? Und was bedeutet es für eine demokratische Gemeinschaft, wenn ein Drittel der Wählerschaft rechtsextrem wählt? 

Die Sprache von AfD und BSW verzerrt und verdreht Wirklichkeit 

Trotz historischer Herausforderungen und berechtigter Sorgen in geopolitisch schwierigen Zeiten steht die Bundesrepublik Deutschland aber nicht am Abgrund. Vielmehr sind die gesellschaftspolitischen Debatten, die in ihr geführt werden, teilweise außer Kontrolle geraten. 

Es gibt Themen, die nicht nur von der AfD und dem BSW, sondern im öffentlichen Diskurs entlang der Empörungsökonomie sozialer Medien bis zur Absurdität befeuert werden. Fragen zu Asyl- und Migrationspolitik zum Beispiel lösen Kontroversen und Konflikte aus, die schon lange nicht mehr lösungsorientiert ausgetragen, sondern angefacht und für andere Zwecke instrumentalisiert werden.

Auch Debatten zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine entwickeln sich in eine Richtung, die mit der Realität immer weniger zu tun hat. Sowohl die AfD als auch das BSW sprechen sich für ein Ende der Sanktionen gegen Russland und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Sie inszenieren sich als Parteien für den Frieden in Europa und werfen der Bundesregierung Kriegstreiberei vor. Wenn man an der Oberfläche ihrer „Friedenserzählung“ kratzt, kommen allerdings Anti-Amerikanismus, Verständnis für Russland sowie eine kalte und abwertende Distanz gegenüber der Ukraine zum Vorschein. Der „Krieg in der Ukraine“, so kann man etwa im Europawahlprogramm des BSW lesen, sei ein „blutiger Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland“. Europa müsse „eigenständiger Akteur auf der Weltbühne werden, statt Spielball im Konflikt der Großmächte zu sein und sich den Interessen der USA unterzuordnen“. Der Krieg sei zwar von Russland begonnen worden, wäre vom Westen aber „verhinderbar“ gewesen und hätte längst beendet werden können. 

Der „Verhandlungsplan“ des BSW lautet wie folgt: „Um Russland zur Aufnahme von Verhandlungen zu motivieren, sollte für diesen Fall der sofortige Stopp aller Rüstungsexporte in die Ukraine angeboten werden. Gegenüber der ukrainischen Führung sollte die weitere Unterstützung und die Zahlung von Hilfsgeldern aus der sogenannten „Ukraine-Fazilität“ ebenfalls an die Vorbedingung der Bereitschaft zu Friedensverhandlungen geknüpft werden“. Russland müsse man motivieren und etwas anbieten, so die Erzählung des BSW. Die Ukraine wird als ein Land beschrieben und behandelt, das man vor Bedingungen stellen muss. Das BSW spricht sich im Programm auch vehement gegen die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aus, „dem schon vor dem Krieg ärmsten Land Europas mit großen Demokratiedefiziten und uferloser Korruption“. Der Erfolg des BSW hat auch mit der Tatsache zu tun, dass Sahra Wagenknecht im deutschen Diskurs den Friedensbegriff auf perfide Weise für ihr Bündnis beansprucht und missbraucht.   

Für unsere Gesellschaft stellen die mit falschen Annahmen, Zahlen und kruden Behauptungen gespeisten Konflikt- und Empörungsspiralen eine Zumutung dar, deren Folgen man nicht unterschätzen sollte. Denn die Sprache von AfD und BSW verzerrt und verdreht Wirklichkeit. 

Woran demokratische Parteien glauben sollten

Wenn Demokratinnen und Demokraten der Propaganda und Manipulation etwas entgegensetzen wollen, müssen sie mit dem Glauben an unsere demokratische Gegenwart und Zukunft beginnen. Sie sollten sich nicht von all denen treiben und provozieren lassen, die es auf unseren gesellschaftlichen Frieden und Zusammenhalt abgesehen haben, sondern mit kühlem Kopf deren Praktiken und Machenschaften entlarven. Die Herausforderungen unserer Zeit sind viel zu ernst, als dass es sich demokratische Parteien leisten könnten, sich gegenseitig zu diskreditieren oder den politischen Tod zu wünschen. 

Niemand, dem an der Zukunft liberaler Demokratien in Europa gelegen ist, darf zulassen, dass antidemokratische Regime und Parteien mithilfe von Hassbotschaften, Verschwörungstheorien und Desinformationskampagnen erfolgreich politisches Agenda Setting betreiben und ihre politischen Ziele in die Tat umsetzen. 

Die Regulierung von Social-Media-Plattformen allein reicht nicht 

Die Regulierung sozialer Netzwerke ist zur Bekämpfung von Hassrede und Desinformation sicherlich ein entscheidender Aspekt, wir sollten uns aber nicht ausschließlich darauf verlassen. Zukunft kann, Zukunft muss von demokratischen Parteien aus der Regierungsverantwortung und Opposition heraus gestaltet werden – in einem von Fairness geprägten Wettbewerb um die besten politischen Lösungen, mit der Bereitschaft zur Kompromissfindung und mit der Fähigkeit zur Selbstkorrektur, die liberale Demokratien auszeichnet. Das setzt allerdings voraus, nicht hilflos, polternd oder ängstlich in die Richtung der Körner zu rennen, die Orbán & Co. immer wieder mit zersetzenden Absichten in die Luft werfen.

Eine lebenswerte Zukunft, ein demokratisches Miteinander entstehen nicht aus Misstrauen, gegenseitiger Verachtung und Zynismus, sondern aus Vertrauen, gegenseitigem Respekt und Hoffnung. Alle, die auch weiterhin in einer offenen Gesellschaft leben möchten, sollten mit dieser Haltung sprechen, posten und handeln. Und dabei den Blick für das Wesentliche und den Sinn für Gelassenheit nicht verlieren.


Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.boell.de