Migrationsabkommen mit Georgien: Deutschland muss genau hingucken

Kommentar

Das Migrationsabkommen zwischen Deutschland und Georgien besteht seit Dezember 2023. Ebenso lange gilt Georgien als sicheres Herkunftsland. Doch die zunehmend repressive Politik in Tiflis macht es notwendig, die deutsche Sicht auf das Land zu überdenken.

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Die Einstufung als sicheres Herkunftsland legitimiere die zunehmend repressive Regierungspolitik, sagen Aktivist*innen in Tiflis.

Vor einem Jahr, am 19. Dezember 2023, unterzeichnete Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Tiflis zusammen mit ihrem georgischen Amtskollegen Wachtang Gomelauri ein Migrationsabkommen. Die veränderte politische Lage in Georgien macht jetzt einen Blick auf die mit dem Abkommen verfolgten Ziele und eine Neueinschätzung in Bezug auf politische Verfolgung erforderlich.

Laut deutschem Innenministerium diente die Migrationsvereinbarung als „Grundlage, um künftig im Interesse beider Staaten irreguläre Migration dauerhaft zu reduzieren“. Georgien kam in Deutschland noch 2023 eine besondere Bedeutung bei der Asylantragstellung zu. Im Oktober 2023 beispielsweise stellten fast 9.000 Georgier*innen Asylerstanträge in Deutschland. Nach damaligen Lageberichten und Entscheidungen drohte in Georgien in aller Regel keine politische Verfolgung. Die Anerkennungsquote von Asylanträgen lag dementsprechend bei 0,3 Prozent.

Georgien wurde 2023 als sicheres Herkunftsland eingestuft

Entscheidender als das Migrationsabkommen waren für die Rückführung georgischer Staatsbürger*innen jedoch die Beschlüsse des Deutschen Bundestags am 16. November 2023 und des Bundesrats am 15. Dezember 2023, wonach Georgien als sicheres Herkunftsland eingestuft wurde. Die georgische Regierung tat alles, um bei der Rückführung aus Deutschland, wie auch aus anderen Staaten der EU, zu assistieren.

Das galt schon vor der Einstufung als sicheres Herkunftsland und dürfte sich aus der auf Arbeitsebene bis zuletzt guten Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten erklären. Auf die Einstufung als „sicheres Herkunftsland“ verwies man in Regierungskreisen in Tiflis daher fast mit Stolz – oder vielleicht auch aus politischem Kalkül, um die Kritik der Zivilgesellschaft am zunehmend autoritären Kurs der Regierung zurückzuweisen.

Fokus auf Saisonarbeit

Aus der Absicht, in Deutschland so dringend benötigte Fachkräfte auch aus Georgien anzuwerben, wurde auch mit dem Migrationsabkommen erstmal nichts. Die georgische Seite wies schon Jahre vor den Verhandlungen zum Abkommen deutlich darauf hin, dass Abwanderung von ausgebildeten Fachkräften und Brain-Drain nicht im Interesse des Staates und der Gesellschaft im ohnehin kleinen und von Emigration stark betroffenen Land seien.

Also fokussierte man sich in der Zusammenarbeit auf die zirkuläre Migration, insbesondere von Saisonarbeiter*innen. Der Umstand, dass Georgier*innen sich 90 Tage visafrei in der Bundesrepublik aufhalten dürfen, machte das Pilotprojekt schnell umsetzungsfähig: 2021 reisten die ersten Landarbeiter zu ausgewählten landwirtschaftlichen Betrieben in ganz Deutschland. Im Jahr 2022 erhielten 1231 Georgier*innen eine Arbeitsgenehmigung für die saisonale Arbeit in Deutschland, trotz teilweise schlechter Presse über die Arbeitsbedingungen. 2023 stieg diese Zahl geringfügig auf 1269.

Migrationsabkommen bietet weitere Möglichkeiten

Vieles wäre denk- und entwickelbar im Rahmen des Abkommens, das Ausbildung und Zusammenarbeit in anderen Bereichen verspricht. Die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen könnte ausgebaut werden, vielleicht Inkubationskooperationen von Start-ups. Wichtig für die georgische Seite war dabei die Zukunft ihrer jungen Bevölkerung im Land selbst. Doch welche Zukunft stellt sich aktuell?

Sollte die politische Verfolgung weiter wachsen und die Diskriminierung von Minderheiten wie LGBTQI-Personen zunehmen, muss in Berlin der Status Georgiens als sicheres Herkunftsland überdacht werden.

Das politische Klima in Georgien ist derzeit extrem angespannt. Der nach der weder fairen noch freien Wahl im Amt gebliebene Premierminister Irakli Kobachidse hatte im November angekündigt, dass Georgien die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen bis 2028 nicht anstreben wolle. Das wird von vielen georgischen Bürger*innen verstanden als bewusster Verzicht auf die europäische Integration, als eine Annäherung an Russland und fundamentalen Bruch mit Artikel 78 der georgischen Verfassung, der alle staatlichen Organe verpflichtet, die europäische Integration zu fördern.

Regierung unterdrückt kritische Stimmen zunehmend

Obwohl proeuropäische Massendemonstrationen in den vergangenen Wochen gewaltsam niedergeschlagen wurden, versammeln sich täglich Tausende Menschen in Tiflis und anderen großen Städten und protestieren. Die Partei Georgischer Traum, die weiterhin an der Macht ist, verfolgt eine Politik, die zunehmend unabhängige Stimmen unterdrückt. Aktivisten, Journalistinnen, Oppositionspolitiker und insbesondere die hohe Zahl von mutigen Staatsbeschäftigten, die sich kritisch äußern, sind Ziel von Einschüchterung, Drohungen und körperlicher Gewalt.

Auch den „liberalen Faschismus“ will Kobachidse „auslöschen.“ Im neuen Jahr könnten das beschlossene „Agentengesetz“ und die Anti-LGBTQI-Gesetzgebung durchgesetzt werden, was hohe Geld- und sogar Gefängnisstrafen vor allem für jene bedeuten könnte, die in zivilgesellschaftlichen Organisationen und Medien arbeiten.

Die Einstufung als sicheres Herkunftsland legitimiere die zunehmend repressive Regierungspolitik, sagen Aktivist*innen in Tiflis. Sollte die politische Verfolgung weiter wachsen und die Diskriminierung von Minderheiten wie LGBTQI-Personen zunehmen, muss in Berlin der Status Georgiens als sicheres Herkunftsland überdacht werden.


Dieser Beitrag erschien zuerst bei Table.Media.


Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.boell.de