Man muss nur nach Gaza blicken, um zu erkennen, wozu eine strikte Trennung von Israel und Palästina führen kann. Befestigte Zäune, unterirdische Schutzmauern – Was, wenn mehr Offenheit und weniger Trennung die bessere Antwort wäre?
Ich gestehe: Seit etwa einem Jahrzehnt unterstütze ich die Idee eines konföderierten Verbandes zweier Staaten als bessere Möglichkeit zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes (die beste Lösung existiert nicht). Es gibt einige grundlegende Unterschiede zwischen diesem Ansatz und der traditionellen Zwei-Staaten-Lösung, deren Details vor mehr als zwanzig Jahren in Verhandlungen ausgearbeitet wurden. Doch der wichtigste Unterschied ist der, dass eine Konföderation eine komplette Trennung als Bedingung und Basis für Frieden ablehnt.
Stattdessen beruht dieser Ansatz auf beschränkten gemeinsamen Institutionen, auf Grenzen, die auf Freizügigkeit unter Berücksichtigung von Sicherheitserfordernissen ausgelegt sind, auf Aufenthaltsrechten auf der »anderen« Seite und auf einer Koordinierung der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. Er akzeptiert, dass sich verschiedene Bevölkerungsgruppen überschneiden, sowohl aus symbolischen als auch aus pragmatischen Gründen, anstatt eine ethno-nationale Trennung von Israelis und Palästinenser*innen anzustreben.
«Ein neuer Weg aus der Sackgasse» - Übersetzung in Deutsche Gebärdensprache - Heinrich-Böll-Stiftung
Direkt auf YouTube ansehenIm aktuellen Klima erscheint es geradezu verrückt, das Trennungs-Paradigma zugunsten von mehr Miteinander aufzugeben. Doch ein kurzer, ehrlicher Blick in die Geschichte zeigt, warum auf Trennung beruhende Friedensbestrebungen spektakulär gescheitert sind, und warum ein politischer Rahmen, der auf Zusammenarbeit, offenem Zugang und geteilten Ressourcen beruht, der einzige Weg nach vorne ist.
Jahrelang schienen zwei Staaten die eleganteste politische Lösung zu sein. Metaphern über Paare, die sich scheiden lassen oder die Trennung zankender Kinder, schienen so vernünftig. Es hieß, teilt das Land, platziert eine internationale Grenze und eine Mauer, oder beides, dazwischen. Jerusalem könnte in der Mitte geteilt werden. Jede Nation würde ihre existenzielle Verbindung mit der anderen Hälfte des Landes opfern, nur um nichts mehr miteinander zu tun haben zu müssen.
Das Problem war nur, dass keine der beiden Seiten dies ausreichend wollte. Sowohl Israelis, als auch Palästinenser*innen betrachten das gesamte Land als heilig, basierend auf historischen, religiösen und kulturellen Bindungen. Der imaginierten Trennung lag zudem eine gewisse Einseitigkeit zu Grunde: Im zu schaffenden palästinensischen Staat sollten alle Jüdinnen und Juden entfernen werden, während Israel ein Land mit 20-prozentigem Anteil palästinensischer Staatsbürger*innen bleiben sollte. Das war sowohl beleidigend gegenüber Jüdinnen und Juden als auch beängstigend für die Palästinenser*innen in Israel: Wenn das schlussendliche Ziel eine ethno-nationale Homogenität ist, wie sicher könnten sie dann noch sein?
Freie Wahl des Wohnsitzes im »anderen« Staat
Nach dem 7. Oktober habe viele Israelis, und nicht nur solche aus dem rechten Lager, den verzweifelten Schluss gezogen, dass eine solche Art des Friedens ausprobiert wurde und gescheitert ist. Doch das stimmt nicht: zwei voneinander getrennte Staaten wurden niemals ausprobiert – diese Lösung konnte nicht umgesetzt werden, da sich die beiden Seiten niemals darauf einigen konnten.
Stattdessen streben ich und andere, vertreten durch die israelische und palästinensische Basisbewegung "Ein Land für alle", zwei Staaten an, in denen jede Seite nationale Selbstbestimmung genießt. Es wird immer noch eine Grenze geben, die eine Trennungslinie zwischen den beiden Staaten zieht. Doch dem Streben jeder Seite nach einer fortbestehenden Verbindung mit dem gesamten Land würde Rechnung getragen, wenn jede Seite einen Kompromiss akzeptiert: keine der beiden Nationen kann das ganze Land für sich beanspruchen. Stattdessen würden beide Völker gleichberechtigte Freizügigkeit genießen. Sicherheitsbeschränkungen wären die Ausnahme und würden nur aufgrund von individuellen oder organisationsspezifischen Bedrohungen erlassen, nicht aufgrund von kollektiven oder standardmäßig ungleichen Einschränkungen von Palästinenser*innen.
Auch von israelischer Seite gibt es Bedrohungen; Sicherheit muss als eine gegenseitige, gleichberechtigte Notwendigkeit betrachtet werden. Die Bürger*innen jedes Staates hätten das Recht, den anderen Staat zu besuchen, dort zu reisen, zu studieren und dort zu arbeiten – und sogar dort zu leben, wenn sie sich gesetzestreu verhalten und die Souveränität der anderen Seite akzeptieren. Die freie Wahl des Aufenthaltsortes bedeutet auch zu akzeptieren, dass die Menschen der einen Nation in dem jeweils anderen Staat leben. Doch jede Seite wählt bei nationalen Wahlen ausschließlich im Land der jeweiligen Staatsangehörigkeit, Anwohner*innen der »anderen« Seite würden also keine erheblichen Auswirkungen auf die Wahlen oder die Bildung der Regierung haben.
Dieser Mechanismus würde Siedler*innen eine Wahlmöglichkeit bieten und den palästinensischen Flüchtlingen von 1948 eine Rückkehr ermöglichen – gemäß einem Zeitrahmen und unter Bedingungen, die die beiden Seiten in Verhandlungen ausarbeiten müssten.
Die Befürchtungen der Bevölkerung vor den Gefahren einer größeren Öffnung lassen einen offenkundigen Punkt außer Acht: Trennung, Zersplitterung und Isolation bergen Gefahren, die viele noch nicht erkannt haben.
Israelis und Palästinenser*innen von den ihnen heiligen Orten fernzuhalten, wird wütende Proteste in der Zukunft auslösen, besonders wenn diese Orte mit religiösen Verpflichtungen verbunden sind. Was bewirkt eine strikte Trennung noch? Dafür muss man nur nach Gaza schauen. Gaza war der wohl am stärksten isolierte Landstreifen in ganz Israel-Palästina. Gaza steht für das Trennungsparadigma auf Steroiden, mit den während des Oslo-Friedensprozesses eingeführten strengen Grenzregelungen, die seit der Machtübernahme der Hamas 2007 noch rigider wurden, mit physischen Mauern, verstärkten Zäunen, unterirdischen Barrieren. Der Verkehr von Gütern und Menschen zwischen Gaza und Israel oder dem Westjordanland wurde auf ein Minimum beschränkt.
Die Gesellschaft verarmte, zermürbte und verzweifelte, während die Industrie zusammenbrach und die Arbeitslosigkeit auf über 40 Prozent anstieg, was die Abhängigkeit von Israel verstärkte. Gazas Inlandsprodukt war die Verzweiflung. Das rechte Lager in Israel, das argumentiert »Man stelle sich vor, was passiert wäre, gäbe es einen palästinensischen Staat«, sollte es noch etwas präziser ausdrücken: Man stelle sich vor, was passiert wäre, würde der gesamte palästinensische Staat, das Westjordanland und Gaza, hermetisch von Israel abgetrennt: Gaza im großen Stil.
Im Gegensatz dazu erlaubt das Konzept der Freizügigkeit, spirituellen Bedürfnissen nachzugehen und auch wirtschaftliche Möglichkeiten zu kreieren, um die Lücken allmählich zu schließen und neue Horizonte zu eröffnen. Größere Bewegungsfreiheit nähme bei der Festlegung des spezifischen Verlaufs der Grenze Druck raus, die Grenze könnte somit näher entlang der Grünen Linie verlaufen und größere zusammenhängende palästinensische Gebiete ermöglichen. Jerusalem würde die gemeinsame Hauptstadt beider Staaten bleiben. Die Idee, die Stadt zu trennen war ohnehin unsinnig, das wird schon deutlich, wenn man sich die Karte von »Ost«- und »West«-Jerusalem anschaut und mit den jüdischen Stadtvierteln, die nach 1967 entstanden sind, vergleicht. Es ist ja kein Apfel, der sich einfach halbieren lässt; die Karte von Jerusalem sieht eher aus wie ein von einem Verrückten geschaffener Rorschach-Fleck.
Doch verlassen Sie sich nicht auf mich, wenn es um die Auswirkungen des Trennungsparadigmas im Gegensatz zu den Auswirkungen von sich überlappenden Bevölkerungsgruppen mit mehr Bewegungsfreiheit geht. Betrachten Sie besser das Alltagsleben in anderen Gebieten von Israel und Palästina.
Selbstbestimmungsrecht mit Vorteilen
Am stärksten isoliert ist wohl Gaza, und das mit den verheerendsten Auswirkungen, gilt es doch als größte Sicherheitsbedrohung für Israel. Das Westjordanland gibt zwar auch kein besonders gutes Friedensmodell ab, ist jedoch aktuell weniger explosiv als Gaza, obwohl sich das natürlich auch ändern könnte. Trotz des völligen Verfalls der palästinensischen Führung mit ihren armseligen Befugnissen, ist das Westjordanland nicht in einem gewalttätigen Chaos versunken. Um die Wirtschaft steht es geringfügig besser als in Gaza. Es gibt zwar eine Mauer, aber diese ist unvollständig und durchlässig, wohingegen die Absperrungen um Gaza hermetischer waren – mit schlimmeren Folgen.
Tatsache ist, dass zwischen jüdischen Siedler*innen und Palästinenser*innen regelmäßiger Austausch besteht und sogar eine gewisse wirtschaftliche Verflechtung. Und auch die Sicherheitskoordination, wie sie derzeit zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde besteht, verbessert die Sicherheit. Die Palästinenser*innen verabscheuen diese Zusammenarbeit verständlicherweise, da sie dazu beiträgt, die Besatzung aufrecht zu erhalten und Israelis zu schützen, nicht aber Palästinenser*innen. Im Rahmen einer Konföderation würde hingegen jede Sicherheitspolitik auch der Sicherheit der Palästinenser*innen dienen und sie nicht nur kontrollieren. So lange die Beziehung zwischen Israelis und Palästinenser*innen auf Macht und Unterdrückung beruht, wird es weiterhin Gewalt geben. Es gibt jedoch mehr Beispiele für Gewaltlosigkeit im Westjordanland, als man gemeinhin aus den Nachrichten erfährt.
Das beste Beispiel findet sich direkt vor unserer Nase. Die israelischen und palästinensischen Gemeinschaften mit der größtmöglichen wechselseitigen Interaktion und völliger Freizügigkeit sind die jüdischen und palästinensischen Staatsbürger*innen Israels. In Apotheken, Gesundheitsberufen, Universitäten, am Arbeitsplatz, in Restaurants und Einkaufszentren leben Israelis und Palästinenser*innen – abgesehen von einem glücklicherweise verhaltenen Ausbruch der Gewalt im Mai 2021 – friedlich zusammen, wenn auch bei weitem nicht gleichberechtigt.
Das ist kein Argument für die Einstaatenlösung. Die Spannungen, die zwischen den Bürger*innen bestehen, werden durch die seit langem vereitelten palästinensischen nationalen Bestrebungen ausgelöst, die von den Jüdinnen und Juden als Bedrohung ihrer Identität wahrgenommen werden (wenn die Palästinenser*innen ihren Staat bekommen, können die Jüdinnen und Juden vielleicht aufhören, sich Sorgen zu machen). Jede Seite strebt nach Selbstbestimmung und hat auch ein Recht darauf. Doch die Mechanismen von Freizügigkeit, gemeinsamer Wirtschaft und des alltäglichen Miteinanders in Israel haben sich bewährt.
In Israel und den besetzten (oder kontrollierten) Gebieten sind Israelis und Palästinenser*innen durch Geografie, Ressourcen, Wasser, Klima und Epidemiologie miteinander verbunden. Angefangen bei COVID bis hin zur Angst vor Cholera aufgrund des aktuellen Krieges, hat die Wirklichkeit unsere Schicksale miteinander verknüpft.
Die gemeinsame Wahrnehmung dieser Aufgaben erfordert eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen ausgebildeten Fachleuten und engagierten Verwalter*innen und Manager*innen. Diese Beziehungen sollten nicht hektisch inmitten einer Krise aufgebaut werden, wenn jede Seite die jeweils andere hasst, sondern im Laufe der Zeit durch gemeinsame Behörden, in denen Menschen arbeiten, die ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis haben und sich an bewährten Verfahren orientieren, um Krisen von Anfang an abzuwenden.
Diese bedarfsorientierten, konfessions- und nationsübergreifenden Behörden sollten die herzerwärmenden aber sinnlosen »People-to-People«-Modelle der Vergangenheit ersetzen. Die Vorbilder sind bereits vorhanden: EcoPeace Middle East schafft das seit Jahren als israelisch-palästinensisch-jordanische NGO, die sich mit Umweltpolitik auseinandersetzt. Es gibt eine israelisch-palästinensische Handelskammer, sowie das Palestinian Internship Program in Israel. Darauf lässt sich aufbauen.
Ich habe mir die schmerzhafteste Frage bis zum Schluss aufgehoben. Wie kann irgendjemand aus dem aktuellen Elend hier eine Perspektive hin zu diesem Modell eröffnen?
Meine Antwort hierauf umfasst die Zukunft. Die langfristige Zukunft ist einfach genug zu sehen: Niemand wird von hier fortgehen, Israelis und Palästinenser*innen werden weiterhin auf diesem Stück Land leben. Die Frage ist nur wie.
Die mittelfristige Zukunft ist hingegen unfassbar schwierig. Die Situation in Gaza ist katastrophal; die nächste Phase muss die Isolation Gazas beenden, nicht diese noch vertiefen. Ich glaube, dass nur eine multilaterale Anstrengung der Länder des Westens und des Nahen Ostens die Sicherheit und die Wiederherstellung der Staatsführung durch vorübergehende internationale Hilfe koordinieren kann – als Brücke zu einer zukünftigen palästinensischen Wiedervereinigung, zu Wahlen und schließlich zur Unabhängigkeit.
Nichts davon kann anfangen, bevor nicht das Kämpfen ein Ende hat. Und das ist die Antwort auf die Frage, was sobald wie möglich geschehen sollte.
Übersetzt aus dem Englischen von Alexandra Titze-Grabec.