Dieser Artikel erörtert das Potenzial eines feministischen Ansatzes für Klimagerechtigkeit und für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik. Die Autorinnen Gina Cortés Valderrama und Katy Wiese argumentieren, dass feministische Perspektiven unabdingbar sind, wenn es um wirtschaftliche Rechte, Energiewende und klimabedingte Schäden und Verluste geht.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie das Auswärtige Amt (AA) verfügen auf dem Papier über progressive feministische Ansätze. Dennoch wurden viele dieser Ansätze, noch nicht in konkrete Maßnahmen umgesetzt. Darüber habe ich mit den Feministinnen Gina Cortés Valderrama und Katy Wiese gesprochen. Gina Cortés Valderrama ist eine kolumbianische Aktivistin,Teil des kolumbianischen Kollektivs Aluna Minga und Co-Focal Point des UNFCCC Women and Gender Constituency. Katy Wiese ist Projektmanagerin für ökonomische Transformation und Geschlechtergerechtigkeit beim European Environmental Bureau in Brüssel. Beide greifen Beispiele auf, was es konkret bedeuten kann sich für feministische Klimastrategien in Deutschland, in der Europäischen Union (EU) und den Vereinten Nationen (VN) einzusetzen. Sie sind beide von den grundsätzlichen Prinzipien feministischer Außen- und Entwicklungspolitik überzeugt, sehen jedoch große Lücken bei der Implementierung. Vor allem in den Bereichen der wirtschaftlichen Gerechtigkeit, der Energiewende oder der Kompensation für die klimawandelbedingten Schäden und Verluste sindfeministische Perspektiven unabdingbar, um die Klimakrise zu bekämpfen.
Deutschlands feministische Strategie zur Bekämpfung der Klimakrise
Für Deutschland ist seine feministische Außen- und Entwicklungspolitik „kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck“. Aber was bedeutet dieses Mittel zum Zweck konkret für Deutschlands Klimapolitik? Das BMZ und AA haben sich beide zu dem feministischen Grundsatz verpflichtet, Machstrukturen zu hinterfragen. Des Weiteren erkennen sie in ihren offiziellen Strategien den Zusammenhang von Machtstrukturen und Klimaungerechtigkeit an:
Den Machtungleichheiten innerhalb von Gesellschaften liegen tiefgreifende strukturelle und oftmals miteinander verbundene Systeme zugrunde, wie das Patriarchat, Rassismus, Sexismus, Ableismus oder Klassismus. Diese Systeme halten gewaltvolle und ungleiche Machtstrukturen auf recht. In den Ländern des Globalen Südens stehen sie auch in Zusammenhang mit dem europäischen Kolonialismus und kolonialen Denkmustern, die bis heute nachwirken. So ist die Abwertung von Wissens- und Bildungssystemen im Zuge des Kolonialismus ein Grund dafür, dass beispielsweise indigenes Wissen bis heute nicht angemessen in Lösungen für die Klimakrise einbezogen wird.
Siehe "Strategie der Feministischen Entwicklungspolitik des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung", 2023, S.10
Mit Jennifer Morgan als Staatssekretärin und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik verfestigt das AA eine klimaorientierte Diplomatie. Morgans Aufgabe ist es, Gender Mainstreaming in allen globalen Fragen rund um die Klimakrise zu verankern. Dazu gehören Deutschlands Bestrebungen bezüglich des Climate Action Plan der VN oder auch, die Klimadimension von Flucht, Migration und Vertreibung im Khartum-Prozess der EU besonders hervorzuheben (siehe Feministische Leitlinien des Auswärtigen Amtes, 2023, S. 48). Beide dieser Strategien verdeutlichen, dass Deutschland anerkennt, wie die Klimakrise Menschen unterschiedlich betrifft und vulnerabel macht. Trotzdem betonen Gina Cortés Valderrama und Katy Wiese, dass immer noch eine sehr große Diskrepanz zwischen den feministischen Leitlinien auf dem Papier und der tatsächlichen Umsetzungen feministischer Werte durch Politiker*innen besteht. Beide Feministinnen teilen daher ihre Erfahrungen, auf welche Art und Weise sie von der EU oder den VN Klimaschutzmaßnahmen fordern, aber auch wie sie selbst feministische Führungsstile in ihrer eigenen Arbeit praktizieren.
Es gilt, den Mut aufzubringen Institutionen herauszufordern
Die Klimakrise mit all ihren Auswirkungen auf globaler Ebene, kann nicht alleine von einem Land bewältigt werden. Auch auf EU und VN Ebene versucht Deutschland daher eine feministische Perspektive in die Klimapolitik einzubringen. Obwohl die EU und die Mitgliedsstaaten sich zur Klimaneutralität 2050 verpflichtet haben, sind im European Green Deal (EGD) von 2019 keine feministischen Perspektiven vorhanden. Aus diesem Grund ist es immens wichtig, dass Deutschland sich genau jetzt für feministische Maßnahmen auf EU-Ebene einsetzt. Zusammen mit anderen Klimaaktivist*innen und Analyst*innen veröffentlichte Katy Wiese einen Bericht, der für ökofeministische Perspektiven bei der Umsetzung des EGDs plädiert. Die Autor*innen formulieren konkrete ökofeministische Maßnahmen, wie beispielsweise ein feministisches Wirtschaftssystem der Sorgearbeit und des Gemeinwohls aussehen kann. Der Bericht greift aber auch politische Empfehlungen auf. Beispiele sind Reduktionsmaßnahmen für toxische Chemikalien oder wie Energiearmut bekämpft werden kann. Mit der Veröffentlichung konnten Wiese und ihre Mitautor*innen praktische Umsetzungsmöglichkeiten an ranghohe europäische Politiker*innen wie Delara Burkhardt (Mitglied des Europäischen Parlaments), Leonore Gewessler (Österreichische Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie) oder Kata Tüttő (stellvertretende Bürgermeisterin von Budapest und Berichterstatterin für Gender und Klima, Europäischer Ausschuss der Regionen) herantragen. Diese Beispiele von Katy Wiese verdeutlichen nochmal einen entscheidenden Aspekt feministischer Lobbyarbeit. Es ist eine wichtige Aufgabe der Zivilgesellschaft, den Status Quo der Politik zu hinterfragen. Deshalb müssen Politiker*innen, die ihre Politik als feministisch bezeichnen, Zeit in den Austausch mit feministischen Akteur*innen investieren. Jedoch entscheiden sich nicht alle Politiker*innen für Konsultationen mit der feministischen Zivilgesellschaft.
So berichtet Gina Cortés Valderrama, wie schwierig es sich gestalten kann mit Politiker*innen bei der VN Klimakonferenz in den Austausch zu treten. Im Allgemeinen haben zivilgesellschaftliche Akteur*innen nur bedingten Zugang zu den Verhandlungen bei der Konferenz. Klimaaktivist*innen haben daher unterschiedliche Methoden, um ihre Forderungen zu äußern. Ein Beispiel ist der Protest der Zivilgesellschaft bei der Klimakonferenz (COP 28) in Dubai, bei dem Feminist*innen ihre Wut und Frustration zum Ausdruck gebracht haben. Gleichzeitig betont Gina Cortés Valderrama, dass man nicht automatisch laut und wütend sein müsse, um die Institutionen herauszufordern. „Wir stellen auch kritische Fragen, um dann das Schweigen der Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen als Statement zu nutzen", fügt sie hinzu. Oft geht es auch darum sich genau zu überlegen, wie feministische Forderungen strategisch kommuniziert werden können, sodass Politiker*innen diese tatsächlich verstehen. Es geht also nicht nur um den Inhalt, sondern auch verstärkt um die Art und Weise wie die Botschaften kommuniziert werden. Um eine möglichst große Reichweite zu generieren, teilen sich feministische Aktivist*innen die verschiedenen Bereiche der Interessensvertretung auf. Wenn es um die klimabedingten Schäden und Verluste geht, dann ist es wichtig eine feministische technische Analyse miteinzubringen. Gleichzeitig ist hierfür aber Massenmobilisierung wichtig ist, um Staaten zur Rechenschaft zu ziehen, wenn diese ihre Versprechen nicht einhalten. „Es gibt eine enorme Kraft, die uns über alle Bewegungen und Koalitionen hinweg stärkt“, so Gina Cortés Valderrama.
Es braucht einen feministischen Führungsstil und gelebte Prinzipien
Intersektionalität ist zu einem der Schlagwörter feministischer Prinzipien geworden. Katy Wiese betont, dass für sie Intersektionalität immer eine interne als auch eine externe Dimension benötigt, und beide müssen Anerkennung finden: „Eine Person kann nicht Intersektionalität von anderen erwarten, wenn die eigene Organisation es nicht einmal versucht. Und die Aufgabe, intern Intersektionalität zu praktizieren, ist oft keine einfache.“ So erinnert sich Katy Wiese selbst daran, wie viel Aufwand es benötigte, Bewusstsein in ihrer eigenen Organisation für die Notwendigkeit einer intersektionalen Perspektive zu schaffen, um es letztendlich in die Analyse politischer Dossiers mit einzubringen. „Am Anfang organisierten wir Mittagspausen mit kurzen Vorträgen für Mitarbeitende, um zu erklären, warum es eine intersektionale Perspektive für Klimagerechtigkeit notwendig ist.“
Katy Wieses Beispiel verdeutlicht erneut, dass die Umsetzung feministischer Prinzipien viel Durchhaltevermögen benötigt. Feministische Arbeit kann sehr überwältigend und ermüdend sein. Im Alltag müssen sich feministische Akteur*innen entscheiden, welche Themen akut sind und deshalb priorisiert werden müssen. Gina Cortés Valderrama betont jedoch, wie das Arbeiten in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem uns davon abhält, genauer zu reflektieren, welche Themen tatsächlich angegangen werden müssen. Die Ausdrücke „Dringlichkeit“ oder „politisch günstiger Moment“ kommen oft in ihrem Arbeitsalltag vor und erfordern ein sofortiges Handeln. Für Gina Cortés Valderrama ist es daher wichtig, bewusster zu reflektierten, wie wir mit dringenden Krisen, wie der Klimakrise, umgehen können. Feministische Solidarität bei der Bekämpfung der Klimakrise beinhaltet auch eine kollektive Fürsorge. In der Praxis gilt daher feministische Räume des Gemeinwohls und der Fürsorge zu schaffen: „Ich als Individuum kann nicht alle Krisen gleichzeitig angehen. Ich kann nicht alle Kämpfe kämpfen, die ausgetragen werden sollten. Deshalb sollten wir insbesondere achtsam mit uns selbst umgehen und für unser Wohlergehen sorgen. Gina Cortés Valderrama fügt außerdem noch hinzu, dass feministische Akteur*innen mehr auf das Wissen, den Erfahrungsschatz sowie auf die Macht der unterschiedlichen feministischen Bewegungen vertrauen sollten. Denn unterschiedliche Akteur*innen der feministischen Bewegung schaffen wiederum Zugang zu anderen politischen Räumen, zu denen andere keinen Zugang haben. Diese globale feministische Zusammenarbeit ist wichtiger denn je. Denn obwohl sich einige Regierungen feministische Ansätze auf die Fahne schreiben, sind wir noch weit von einer feministischen Klimagerechtigkeit entfernt.