Es klingt erst einmal nach einem bunten Potpourri, was in den Häusern unserer Kooperationspartner*innen Platz findet: Kochkurse für Grundschulkinder, ein Verein für Geflüchtete, Jugendtheater-Workshops, ein Männerchor, Jamsessions, Kabarett-Abende... Na gut, bei Letzteren ist politische Bildung quasi eingepreist, schauen Kabarettist*innen Politiker*innen doch genau auf die Finger und bieten Auseinandersetzung. Aber Kochkurse für Grundschulkinder?
Ein Haus für mehr Dorfgemeinschaft
Genau dieses Angebot ist ein besonders wichtiges im Verein „Brelinger Mitte“: Die Grundschulkinder lernen von Senior*innen aus dem Dorf beim gemeinsamen Kochen die regional-saisonale Küche kennen. „Wir machen Mehrgenerationenangebote“, sagt Bettina Arasin, die erste Vorsitzende des Vereins in der Wedemark, nördlich von Hannover. 150 Menschen haben 2004 ein ehemaliges Gasthaus in Brelingen gekauft, um Platz zu haben für integrierende Dorfgemeinschaftsprojekte. Mitte der 1970er Jahre waren in dem Haus bereits der Dorfladen und eine Postfiliale untergebracht worden. Es galt, das Gebäude für die Dorfgemeinschaft zu erhalten.
Kultur und politische Bildung: Kulturverein Brelinger Mitte - Stiftung Leben & Umwelt
Direkt auf YouTube ansehen„Die Kinder sollen unseren Ort kennenlernen und was so ein Ort leisten kann“, erläutert Bettina Arasin das Kochangebot, dessen Konzept Kulturverein und Grundschule gemeinsam entwickeln. Das sei auch politische Bildung. Ihnen gehe es zunächst ums Bewusstwerden – zum Beispiel einer Wertschätzung der regionalen Küche und damit einer nachhaltigen Ernährung. Im Haus gibt es zudem Kunstprojekte, Aktionen zum Weltfrauentag, Upcycling-Projekte, den Männerchor, alle zwei Jahre das Dorffest und weiteres. Dies alles biete Platz für Austausch und wirke auf Dorfgemeinschaft und Gesellschaft. Und: „Es geht auch darum, ins Handeln zu kommen“, betont Bettina Arasin und ergänzt mit Blick auf weitere Projekte: „Das müssen wir noch ein bisschen üben.“ Andere Orte finden die Idee aus Brelingen so vorbildlich, dass sie Ähnliches umsetzen.
Entstanden aus dem Widerstand
Auch das „Café Grenzbereiche“ steht in einem Dorf, im wendländischen Platenlaase. Entstanden ist das Café aus dem Widerstand gegen die Errichtung des atomaren Endlagers in Gorleben. „Das hier ist ein exzellenter Raum für politische Bildung“, betont Valeska Richter vom Kulturverein Platenlaase: „Kultur füllt den Raum mit Fragen, Überlegungen und Erkenntnissen“, sagt sie.
Kultur und politische Bildung: Kulturverein Platenlaase - Stiftung Leben & Umwelt
Direkt auf YouTube ansehenDer Verein stellt verschiedenen Initiativen Räume zur Verfügung, wie Fridays for Future, der Solidarischen Provinz, der Trommelgruppe Xamba, dem Stammtisch für pflegende Berufe, der Initiative „Alt werden auf dem Land“. Hier trifft sich auch das Jugendtheater. „Es ist wichtig für Jugendliche einen Freiraum zu haben, Gruppendynamik zu erleben, Verantwortung zu übernehmen, Selbstwirksamkeit zu erfahren“, erläutert Valeska Richter. Die Jugendlichen arbeiten aktiv an der Umsetzung der Stücke mit. Gerade hier zeige sich dann auch: „Kultur macht andere Räume auf, spricht andere Sinne an, sie wirkt vielschichtiger als ein Vortrag.“ Bei den Theaterworkshops für Jugendliche komme hinzu, dass sie mit anderen jungen Menschen in Kontakt kommen, die ihnen sonst nicht begegnen würden. Das schaffe Raum für Auseinandersetzung mit dem anderen. Und für Perspektivwechsel. Auch das sei politische Bildung.
Kultur für Demokratie
Als Teil der Jugendzentrumsbewegung hat sich in den 1970er Jahren die Lagerhalle in Osnabrück entwickelt. 1976 eröffnete der Verein das Kultur- und Kommunikationszentrum am einstigen Standort eines Eisenwarenhändlers. Das Haus versteht sich als Soziokulturelles Zentrum: „Wir bieten Raum für Angebote abseits klassischer Kultur“, sagt Geschäftsführer Jens Meier und zählt auf: Teestube, Ateliers, Ausstellungen, politischer Protest, Theater, Kurse. Die Lagerhalle bietet Initiativen Raum wie dem Aktionszentrum Dritte Welt, dem Internationalen Frauennetz. Sie vermietet Büros, bspw. an den Exil-Verein. Jährlich veranstaltet das Haus das Kabarettfestival, Bands treten auf, es gibt Lesungen und Jamsessions. Es engagiert sich bei dem Projekt „Die Vielen“.
Kultur und politische Bildung: Lagerhalle e.V. - Stiftung Leben & Umwelt
Direkt auf YouTube ansehen„Kultur ist demokratierelevant“, ergänzt Jens Meier. Die politische Bildung mische sich in die verschiedenen Formate, der Austausch sei vielfältig. Denn immer gehe es auch um den Umgang miteinander, es werden aktuelle Probleme ausdiskutiert. „Wir haben durch kulturelle Angebote ganz andere Ausdrucksmöglichkeiten als bei einer parlamentarischen Debatte“, sagt er und er ist sich sicher: „Die Leute, die sich hier in Auseinandersetzungen reiben, sind auch die, die im Ernstfall die Demokratie verteidigen.“
Menschen in Kontakt bringen
Das Boatpeople-Projekt arbeitet seit 2009 als Freies Theater in Göttingen. Meistens dreht sich die Arbeit um Flucht und Migration. „Damit hängt viel zusammen, nicht nur die Fluchtgeschichte, sondern auch das Zusammenleben in unserer Gesellschaft“, erläutert Projektleiterin und Regisseurin Nina de la Chevallerie. Es gehe also auch um gesellschaftspolitische Themen. Neben den Theaterproduktionen bietet das Kollektiv auch ein soziokulturelles Programm an, wie transkulturelle Workshops in den Bereichen Theater, Tanz, Bildende Kunst, Kreatives Schreiben, Film und Musik.
Kultur und politische Bildung: boat people projekt e.V. - Stiftung Leben & Umwelt
Direkt auf YouTube ansehen„Soziokultur ist in der Lage, Menschen zusammen zu bringen, die nichts miteinander zu tun haben“, erläutert Nina de la Chevallerie. Das gelte zum Beispiel für die Theatergruppen, in denen Jugendliche aus Göttingen mit geflüchteten Jugendlichen gemeinsam Stücke erarbeiten. Dabei komme es auch zu politischen Diskussionen, manchmal zu Konflikten. „Sie lernen, das auszuhalten, die Position des anderen zu hören, sich damit auseinanderzusetzen und die Perspektive zu wechseln“, ergänzt Nina de la Chevallerie. Gleichzeitig konzentrieren sich die Jugendlichen auf ihr Theaterspiel. „Das ist auch politisch: Gesellschaft funktioniert am besten, wenn wir merken, dass wir etwas gemeinsam haben.“
Heinrich Böll als Vorbild für politisches Engagement
Mit gesellschaftlichen Debatten hat sich auch der Schriftsteller Heinrich Böll befasst, der mit seinem Werk immer auch zum Einmischen anregte. Die Auseinandersetzung ihres Namenspatrons spiegelt sich im Selbstverständnis der Heinrich-Böll-Stiftung wieder. Die Tätigkeit der Stiftung anderen näher zu bringen und auf das Werk und das Wirken Bölls hinzuweisen, ist eine der zentralen Aufgaben von Markus Schäfer, der gemeinsam mit Dr. Jochen Schubert das Stiftungs-Archiv in Köln betreut. „Ich versuche Bölls Denkmotive und die Figur des gesellschaftlich engagierten Beobachters unseren Stipendiat*innen nahe zu bringen“, sagt Markus Schäfer. Diese lernen zu Beginn ihres Stipendiums die Böll-Stiftung und ihre Arbeit näher kennen. Böll, der nie in einer Partei war, habe nicht nur mit seinem Werk politische Bildung betrieben, in dem er gesellschaftliche und politische Strukturen analysierte, ergänzt Schäfer: „Ihm war wichtig zu zeigen, dass man alles, was man vorgesetzt bekommt, kritisch hinterfragen sollte.“
Böll hat sich für Menschenrechte eingesetzt, für Gerechtigkeit, für Individualität, für Freiheit. Diese Themen spiegeln sich in der Arbeit der Böll-Stiftung ebenso wieder, wie in den Projekten ihrer Kooperationspartner*innen. Und die können sich dann auch mal um Themen drehen, die auf den ersten Blick nichts mit dem Funktionieren einer Gesellschaft zu tun haben. Spätestens auf den zweiten Blick werden aber Zusammenhang und Wirkung deutlich.