Anlässlich des Internationalen Frauentags 2021 hat Petra Klecina, Mitarbeiterin vom Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen Hannover e.V. und Mitorganisatorin von One Billion Rising in Hannover, mit uns über aktuelle Herausforderungen für feministisches Engagement gesprochen. Ihr Beitrag macht deutlich, warum es jetzt gebündelte feministische Kräfte braucht.
Die aus meiner Perspektive aktuell zentralen Herausforderungen für Frauen, sind für mich tatsächlich "alte" Herausforderungen, da sie den Nährboden für Gewalt bilden:
Geschlechterkonstruktionen und ungleiche Machtverhältnisse aufbrechen
Der Rückfall in alte Rollenbilder wird durch die Coronapandemie stärker wahrgenommen und thematisiert. Das neue Erstarken tradierter Rollenbilder ist jedoch nicht erst durch die Pandemie zu verzeichnen. Diese Tatsache können wir mit dem zunehmenden Populismus und Rechtsruck beobachten.
Ungleiche Machtverhältnisse und damit die Beschränkung von Handlungsmacht von Frauen wirken auf die Identitätsbildung ein. Das Gefühl von angenommener Machtlosigkeit kann auch die Gefahr erhöhen, Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden. Studien zeigen, je ungleicher die Gesellschaft, desto mehr Gewalt gibt es in ihr, insbesondere gegen Frauen und Mädchen.
Solange alte weiße Männer nicht auf ihre Privilegien und Machtstrukturen verzichten, verpuffen Kampagnen und Programme zur Verbesserung im Geschlechterverhältnis und zur Beseitigung von Gewalt an Frauen in ihrer Wirkung. Sie ändern das Grundübel nicht. Sie sind das hilfreiche Pflaster.
Mythen verleugnen und bagatellisieren sexualisierte Gewalt
Es herrschen immer noch oder schon wieder weit verbreitete Mythen über Gewalt in der Gesellschaft vor. Vorstellungen wie: die Täter sind meistens Fremde, sexuelle Übergriffe passieren fast immer überfallartig und zwar draußen in dunklen und einsamen Gegenden, die Täter sind krank, es trifft nur junge attraktive Frauen, die Opfer haben es durch ihr Auftreten oder Kleidung provoziert, sie haben sich nicht genug gewehrt etc. müssen wir auf unseren Infoständen, auch bei Besuchen in Schulklassen immer noch hören.
Eine zentrale aktuelle Herausforderung sehe ich tatsächlich in den steigenden Zahlen von digitaler Gewalt in ihrer ganzen Bandbreite (in Chats, im Veröffentlichen von Bildern im Netz, in Hatespeech, Cybergrooming, Cybergewalt in Paarbeziehungen…) und ihren sich ausbreitenden neuen Formen. Digitale Gewalt ist sexistisch. Die Gewalt hat sich in den digitalen Raum ausgeweitet. Das wird eine große Herausforderung der nächsten Generationen, denn auch Hilfsangebote und Beratungsstellen müssen sich diese Räume „erschließen“.
Wie prägt die zunehmende Digitalisierung eigentlich unsere Beziehungen, welchen Einfluss hat sie auf die Sozialisation, auf die Identitätsbildung von Kindern und Jugendlichen etc.? Diese Fragen werden uns zukünftig vermehrt beschäftigen müssen.
Es wird noch zu wenig inklusiv gedacht und gehandelt
Studien belegen: Frauen mit Behinderungen sind 2- bis 3mal so häufig von sexualisierter Gewalt betroffen wie ihre nicht behinderten Geschlechtsgenossinnen. Die Wahrnehmung der massiven Gewalt an Frauen mit Beeinträchtigungen findet noch überwiegend in Fachkreisen statt. Frauen mit Beeinträchtigungen haben in der Regel weitaus weniger Möglichkeiten, sich Hilfe zu holen, überhaupt mit den erlebten Gewalterfahrungen wahrgenommen zu werden.
Opferstigmatisierung
Überlebenden, Betroffenen, Opfern von Gewalt (es gibt keinen wirklich guten Begriff) wird Kompetenz abgesprochen, sie werden reduziert auf die Gewalterfahrungen und auf den Opferstatus. Und Opfern sexueller Gewalt wird eher misstraut. Das verstärkt zusätzlich das Gefühl von Ohnmacht und den Verlust von Selbstbestimmung. Und auch diese Opferstigmatisierung behindert, dass Betroffene das Schweigen brechen. Es ist immer notwendig sowohl das Leid und seine Folgen anzuerkennen und diesem Raum zu geben als auch die ganze Person zu sehen und sie nicht zu reduzieren auf die erlebte Gewalt.
Rape culture
Gerade für Frauen und Mädchen reicht die Androhung sexueller Gewalt oder die Vorwegnahme der Möglichkeit, uns einzuschüchtern, zumindest ein bestimmtes Klima zu schaffen. Wann ändert sich das?
Was es braucht
Insbesondere beim Thema Gewalt an Frauen und Mädchen braucht es immer wieder: Aufklärung, Sensibilisierung, Prävention, Intervention, ein Klima von Hinschauen und Zuhören. Es sind klare gesetzliche Regelungen notwendig (Stichwort Nur ja heißt Ja). Es benötigt ein gemeinsames Engagement gegen Sexismus und Gewalt auf allen gesellschaftlichen Ebenen.
Es braucht (dies ist nur ein kleiner Ausschnitt unserer Forderungen):
Verbesserung der ökonomischen Macht von Frauen. Damals wie heute gilt: eigenes auskömmliches Geld ist die Voraussetzung, um sich ein unabhängiges, selbstbestimmtes Leben aufzubauen und Frauen verdienen nun mal immer noch weniger als Männer.
Geschlechterkonstruktionen sind nicht biologisch begründbar, sondern ein soziales Konstrukt und damit veränderbar. In der Sozial- und Bildungspolitik, in der Pädagogik müssen die Themen Geschlechterstereotypen, Gewalt an Frauen und Mädchen stärker verortet werden, z. B. indem Fortbildungen zu diesen Themen und zu sexualisierter Gewalt fest in den Curricula der Ausbildungs- und Studiengängen von ErzieherInnen, Studium der Sozialen Arbeit u.a. verankert werden.
Präventionsangebote sollten bereits im Kindergarten ansetzen, verpflichtende Fortbildungen für Jugendamtsmitarbeitende zum Thema sexuelle Gewalt, aber auch für die Richterinnen und Richter (gerade Familiengerichte und Strafgerichte) etc.
Es braucht mehr Forschung zu Ursachen insbesondere sexueller Gewalt.
Und es braucht eine ausreichende Unterstützung von Betroffenen von Gewalt und zwar niedrigschwellig, vielfältig und barrierefrei.
Ausblick
Diese gesellschaftlichen Herausforderungen spornen uns Feministinnen an, in unserem Engagement nicht nachzulassen. Ich bin immer wieder begeistert und erfreut, wie viele junge Frauen sich auch zu diesen Themen zusammenschließen, engagieren und agieren. Es gibt in Hannover z.B. eine Gruppe von Aktivistinnen, die catcalls ankreiden, es gibt den feministischen Rat, das Frauenkollektiv, seit Jahren das 8. März-Bündnis und es entstehen immer neue Vernetzungen. Deshalb bin ich auch nicht bange, um die Zukunft des Feminismus, auch hier in Hannover.
In meinem Lieblingssatz aus dem Film Suffrageten sagt eine Protagonistin sinngemäß: „Solange es Diskriminierung und Gewalt an Frauen gibt, wird es immer Frauen geben, die aufstehen, die kämpfen.“ Das ist auch meine Grundüberzeugung.
Das gilt es zu stärken: Solidarität, sich nicht gegeneinander ausspielen lassen, aber auch die Unterschiede und Differenzen im feministischen Diskurs auszuhalten und vor allem zu nutzen.
Petra Klecina hat diesen Impulsvortrag gehalten im Rahmen des Online-Gesprächs "Ladies Lunch on Tour: feministische Kräfte bündeln!" am 7. März 2021, eine Veranstaltung der Stiftung Leben & Umwelt / Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen, des Referat für Frauen und Gleichstellung der Landeshauptstadt Hannover und des Gunda-Werner-Instituts. Hier erscheint ihr Wortbeitrag in bearbeiteter Fassung zur Dokumentation.