Anlässlich des Internationalen Frauentags 2021 sprach Corinna Weiler, Projektleiterin für das queere Zentrum Andersraum mit uns über ihren persönlichen feministischen Aktivismus, Ausschlüsse in feministischen Bündnissen und Räume für Community-Care.
Wenn ich über Feminismus spreche, dann aus einer im Wesentlichen maximalprivilegierten Perspektive, also insbesondere einer weißen, ableisierten und akademischen Position. Zu meiner Perspektive gehört auch, Arbeiterkind zu sein und, das ist bei meinem Job nicht so doll überraschend, auch queer.
Feministischer Aktivismus ist schon eine ganze Weile wichtig für mich und inzwischen ja auch mein Beruf. Ich mache also fast nichts anderes und ich mache das auch richtig gern.
Bei den Themen, die mich beschäftigen, geht’s im Prinzip immer darum: Wie sieht eine gerechte Gesellschaft aus? Und: Wie schaffen wir es, dass alle Menschen frei und selbstbestimmt leben können? Das sind Themen, die sind Jahrzehnte und Jahrhunderte alt, weil auch die Ausschlussmechanismen dahinter so alt sind. Wir sehen das jeden Tag, an diskriminierenden Gesetzen, an vielen Formen von Gewalt, an der Art, wie unser Wirtschaftssystem organisiert ist, oder auch daran, wie der öffentliche Raum gestaltet ist.
Die meisten Themen sind also dauerhaft aktuell und werden zusätzlich durch Corona verschärft. Zum Beispiel:
- Be_hinderte Menschen werden in Impfplänen nicht differenziert genug erfasst.
- Geschlechtsbezogene Gewalt wird nicht als Gesundheitsthema verstanden.
- Der Staat bricht sein Sicherheitsversprechen, vor allem gegenüber BiPOC und Juden:Jüdinnen. Deutschland hat eine jahrzehntelange Serie an rassistischen und antisemitischen Anschlägen hinter sich. Die Sicherheitsbehörden versagen und sind teilweise verstrickt, Stichwort NSU 2.0.
In der Krise ist es auch so, dass viele Menschen und ihre Lage völlig aus dem Fokus geraten:
- Geflüchtete Menschen
- Obdachlose Menschen
- Familien und queere Jugendliche
- CARE in Freundschaften und Wahlfamilienkonstellationen werden von Corona-Verordnungen meist nicht erfasst. Wir finden nicht statt.
Es gibt also richtig viele wichtige Themen. Von manchen bekommt man vielleicht gar nichts mit.
Ende 2020 kam eine neue MDS-Richtlinie raus. Die Richtlinie hat wesentliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung von trans* Menschen. Da geht es vor allem um den Zugang zu geschlechtsangleichenden OPs. Das ist eine echt große Sache, taucht aber in kaum einer feministischen Kampagne zum 8. März auf.
Viele queere Menschen marschieren bei klassischen Frauen-Demos mit. Ich mache das auch, obwohl ich selbst sehr wahrscheinlich nie einen Schwangerschaftsabbruch brauchen werde, keine Kinder habe, und auch keinen ach so progressiven cis Typen, mit dem ich Basics auskämpfen muss. Queere Menschen demonstrieren trotzdem für euch mit.
Hetero-cis Frauen sind aber selten am Start, wenn es um die Selbstbestimmung von trans*, nb, queeren Menschen geht. Wo seid ihr? Interessiert euch das nicht so sehr? So scheint es manchmal.
Wenn dann von feministischen Kampagnen noch trans* Weiblichkeiten ausgeschlossen werden, wird’s richtig bitter.
„Wir können nicht sicher sein, dass wir in unserem Streben nach Gerechtigkeit selbst gerecht sein werden.“ schreibt die Wissenschaftlerin Sara Ahmed. Es gibt massenhaft Ausschlüsse in feministischen Bündnissen und massenhaft Ausschlüsse in queeren Communities, z.B. misogyne und rassistische.
Zurück zur Demo und der Frage: Wo seid ihr? Naja: Vielleicht seid ihr mit Care Arbeit beschäftigt. Vielleicht seid ihr bei einer anderen Demo, bei der ich gerade fehle. Vielleicht schreibt ihr ein Buch, das die Welt verändern wird. Oder vielleicht müsst ihr euch einfach mal ausruhen.
Man kann losrennen, sich in alle Themen stürzen, sich abkämpfen. Manchmal muss man das sogar, weil sich Aufmerksamkeitsfenster öffnen und schließen. Aber man hält es nicht lange durch. Mein Aktivismus ist auf Langstrecke angelegt und ich muss mit meinen Kräften haushalten.
Auch dazu gibt es Allianzen. Wir müssen nicht alle alles machen. Das schaffen wir eh nicht. Wir können arbeitsteilig, in wechselnden Bündnissen arbeiten. Wir können schauen, welche Bewegungen gerade progressive Ziele voranbringen, z.B. BLM, FFF und der CSD und dort gezielt Kräfte bündeln.
Wir haben ein hartes Jahr vor uns. Zum einen ein Wahljahr. Zum anderen wird das Jahr und die danach auch hart, weil die Verteilungskämpfe um klamme finanzielle Mittel erst noch richtig dicke kommen.
Die Autorin Teresa Bücker vermutet, dass es nach der Pandemie heißen wird, jetzt müssen wir uns erst mal richtig anstrengen, um alles wieder aufzuholen. Dabei arbeiten viele jetzt schon über ihre Kräfte. Eine Studie der Böckler-Stiftung ergab: Erwerbsarbeitsstunden gingen 2020 nur um 1,5% zurück, d.h. zusätzliche Care-Arbeit ging auf Kosten des Schlafs, der Beziehungen,… Deshalb sagt Teresa Bücker: Wenn das alles vorbei ist, müssten wir uns eigentlich erstmal erholen.
Das stimmt, wir müssen uns erholen, und zwar nicht nur nach der Pandemie, sondern immer. Wir brauchen Räume, in denen wir auftanken und uns austauschen können, in denen wir uns wohlfühlen. Räume, in denen es im Kleinen ein bisschen so ist, wie wir die Gesellschaft im Großen gerne hätten. Selbstfürsorge und Community-Care sind auch politisch. Als marginalisierte Person in dieser Gesellschaft glücklich zu sein und Spaß zu haben, ist ein radikaler Akt. Insofern: Sucht und kreiert euch diese Räume. Unser Webinar heute kann dafür eine super Gelegenheit sein, insofern vielen Dank an Anne und Friederike für die Orga, ich freue mich sehr drauf, heute neue Leute kennenzulernen und auch ein paar Bekannte wiederzusehen.
Corinna Weiler hat diesen Input zuerst gesprochen im Rahmen des "Ladies Lunch on Tour: feministische Kräfte bündeln!" am 7. Mai 2021. Eine Veranstaltung der Stiftung Leben & Umwelt / Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen, des Referat für Frauen und Gleichstellung der Landeshauptstadt Hannover und des Gunda-Werner-Instituts.