Vertreter der LGBT*-Community waren Teil der Proteste in Belarus und sahen sich dabei der Gewalt und der Diskriminierung nicht nur seitens der Sicherheitskräfte ausgesetzt. Die russische Redaktion der Deutschen Welle stellte in einem Artikel vom 16.04.2021 drei persönliche Geschichten aus Belarus vor. Mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Welle dokumentieren die Heinrich-Böll-Stiftung und die Facebook-Plattform „Belarusstimmen“ den Text nun in deutscher Sprache.
Am Vorabend der Präsidentschaftswahlen im August 2020 erstellte die belarusische LGBT*-Community einen Fragenkatalog an die Präsidentschaftskandidaten und veröffentlichte eine gemeinsame Erklärung. Nach dem 9. August, dem Wahltag, nahmen queere Blöcke an Protestmärschen teil. Vertreter*innen der LGBT*-Community sahen sich jedoch mit verschiedenen Formen der Diskriminierung konfrontiert, sowohl seitens der Sicherheitskräfte als auch durch politisch Gleichgesinnte. Wie bedeutsam ist das Thema für die belarusische Opposition? DW hat Meinungen und persönliche Geschichten gesammelt.
Shenja: "Die Wachen sagten, sie würden mich gern erschießen“.
„Ich bin ein offen transsexueller Mensch. Im September, als ich auf dem Frauenmarsch festgenommen wurde, sah ich eher feminin aus. Nichtsdestotrotz bin ich laut meinen Ausweispapieren Jewgenij Dmitrijewitsch. Nach meiner Festnahme musste ich mir einiges anhören, die Sicherheitskräfte fragten mich, ob ich denn operiert, ob ich eine Schwuchtel sei. Auf der Polizeidienststelle sagten sie, dass das Land Männer wie mich nicht braucht. Zum Glück wurde ich nicht verprügelt“, erinnert sich der Musiker und Aktivist Shenja.
Insgesamt drei Tage hat er in der Haft verbracht und war in dieser Zeit sowohl in der Haftanstalt von Okrestina als auch in Shodino inhaftiert. "Das Schrecklichste war die Verlegung nach Shodino. Ich und zwei andere Männer wurden in einem „Becher“ [russ. „Stakan“ - Jargonausdruck der Polizei, der eine fensterlose Schrank- bzw. Stehzelle im Gefangenentransporter bezeichnet. - Anm. d. Ü.] transportiert, sie nahmen mir die Bandage, die ich trug, weg, deshalb waren meine Brüste zu sehen. Ich fühlte mich sehr unwohl. Im „Becher“ gibt es nicht mal Platz für zwei Personen, wir waren zu Dritt: Zwei saßen, der Dritte stand. Einer der Männer bot mir fröhlich an, sich ihm auf den Schoß zu setzen. Sicher habe ich mich nicht gefühlt“, gibt unser Gesprächspartner zu.
Shenja meint, dass es in Belarus keine Standards für den Umgang mit Transgender-Personen gibt. So befragte ihn die Krankenschwester in der Haftanstalt nicht über das Vorhandensein von chronischen Erkrankungen, sondern über seine Transition, welche Operationen er planen würde. „In Shodino musste ich am längsten auf die Zelle warten. Allen wurde eine Zelle zugewiesen nur ich sollte stehen bleiben und warten“, erzählt der Aktivist. „In der Zeit sagten mir die Vollzugsmitarbeiter, sie würden mich gerne in den Hof führen und erschießen. Wenn ich mich rührte, stupsten sie mich mit dem Knüppel“.
Über die Proteste: "Uns wurde gesagt, wir hätten den Protestmarsch verwechselt“
Shenja wurde in Einzelhaft gehalten. Aus dem Paket, dass seine Mutter noch in der Polizeidienststelle abgegeben hat, bekam er nur Medikamente und jede Bitte wurde mit „du bist doch ein Kerl, wirst es schon aushalten“ beantwortet. Nach seiner Inhaftierung hat Shenja seine Arbeit verloren, seine psychische Gesundheit verschlechterte sich, er war auf die Hilfe von Aktivist*innen und Menschenrechtler*innen angewiesen.
„Ich denke, dass die Protestbewegung zum größten Teil aus Menschen besteht, die aufgeschlossen sind, die sehen, was in der Welt passiert, die den Wert eines menschlichen Lebens erkennen. Als sich dem Protestmarsch von vielen Tausend Menschen auch Leute mit Regenbogenfahnen angeschlossen haben, unter ihnen auch ich, haben uns viele freudig begrüßt. Aber es gab auch solche, die nicht gerade begeistert waren, zum Beispiel kam eine Gruppe junger Leute vorbei und schrien, es sei nicht unser Tag, wir hätten den Marsch verwechselt. Daraufhin fingen wir einfach zu skandieren an: „Jeder Tag ist unser Tag“. Und das haben dann alle Umstehenden mit aufgegriffen und mitgerufen“, erinnert sich Shenja.
Bloggerin Maria über den Queeren Block und Regenbogenfahnen bei den Protesten
Auch die Bloggerin Maria erlebte, dass nicht alle bei den Protestmärschen über einen Queren Block froh waren. „Das erste Mal war ich bei einem Frauenmarsch mit einer Regenbogenfahne dabei. Umgeben von Frauen hatte ich keine Angst, obwohl ich damals wie heute auf der Hut bin: Ich lausche, was die Leute sagen und halte Ausschau nach unauffällig gekleideten Männern. Es war offensichtlich, dass einigen der Queere Block gegen den Strich ging, aber man zeigte uns den Daumen nach oben. Leute schlossen sich auch unseren Tänzen zur Musik aus einem tragbaren Lautsprecher an. Ich spürte in dem Moment, das ist historisch: Wann sonst werden wir mit unseren Leuten und mit unseren Fahnen auf der zentralen Hauptstraße der Hauptstadt sein können?“ - erinnert sich Maria. Später, sagt die junge Frau, gab es auf Facebook Kommentare im Sinne von „es ist nicht eure Revolution, sondern unsere“, „lasst die normalen Leute alles in Ordnung bringen und dann werden sie, vielleicht, auch an euch denken“.
Maria erzählt auch, wie sie ihre Haft in der Haftanstalt von Okrestina verbüßt hat. „Ich sehe nicht sehr feminin aus, und das hat den Vollzugsbeamt*innen nicht gefallen. Sie fluchten vor sich hin, im Sinne von „versteht doch keiner, ist es ein Mann oder ein Weib“. Es gefiel ihnen nicht, dass sie nicht gleich auf den ersten Blick einordnen konnten in welche Zelle sie mich stecken sollten. Ansonsten war es egal; egal in welcher Zelle du einsitzt, deine „Ration“ und Dosis von Verachtung kriegst du trotzdem ab. Es ist ihnen schnuppe, ob du eine Lesbe bist oder eine heterosexuelle Mutter von fünf Kindern. Die Matratze werden sie dir nicht deshalb wegnehmen, sondern weil es eine Weisung gab“, - sagt Maria.
Aktivist Andrei über die „besondere“ Haltung gegenüber der LGBT*-Community in Belarus
Der LGBT*-Aktivist Andrei Sawalei stellt fest: Die Verfolgung seitens der Behörden, denen seit den Präsidentschaftswahlen Tausende von Belarus*innen ausgesetzt sind, haben LGBT*-Menschen schon immer ertragen müssen, nur hat sich niemand drum geschert. „Die größte Welle politischer Repressionen, die über Belarus hinwegfegt, hat deutlich gemacht, dass abhängig vom Strafparagraphen, den man dir vorwirft, die Haftbedingungen sowie der Grad der Gewaltanwendung bei Festnahme sehr unterschiedlich ausfallen können. Die Vertreter*innen der LGBT*-Community erleben eine „Sonder“-Behandlung überall, auch durch Mitarbeitende des Innenministeriums, doch die Gesellschaft weigert sich es im vollen Umfang wahrzunehmen“.
Der Aktivist sagt, die LGBT*-Menschen in Belarus bekommen nicht nur keinen angemessenen Schutz vor Angriffen, vor „Fake-Date“-Verbrechen[1] und Erpressung, sie werden zu Zielscheiben von Erpressung und Gewalt seitens der Kräfte des Innenministeriums.
Mitglieder der LGBT*-Community verlassen Belarus auf der Suche nach Sicherheit
„Razzien in Gay-Clubs mit illegaler Sammlung von Daten über die Gäste und homophobe Beleidigungen, das tägliche Gefühl der Verwundbarkeit und Unsicherheit sind längst zu unserem Alltag geworden. Auf der Suche nach Sicherheit fühlen sich viele LGBT*-Menschen gezwungen, das Land zu verlassen. In den 30 Jahren seit der Unabhängigkeit von Belarus wurde Homophobie nur ein einziges Mal vom Gericht als Hassmotiv anerkannt.
„Für den Mord an Michail Pischtschewski[2] hat das Gericht eine Strafe von zwei Jahren und acht Monaten verhängt, von denen der Mörder nur elf Monate hinter Gittern verbracht hat, da er dann begnadigt und freigelassen wurde“, erzählt Andrei. Er bedauert auch, dass die pro-demokratische Bewegung bisher „noch nicht die Kraft gefunden hat, ihr Engagement für Menschenrechte zu artikulieren, einschließlich des Schutzes der Rechte der LGBT*-Community“. Homophobe Rhetorik taucht häufiger auch in den Informationskanälen der pro-demokratischen Kräfte auf. Dies, so Andrei, frustriert die LGBT*-Community und schließt ihre Vertreter*innen als gleichberechtigte Subjekte aus dem öffentlichen Diskurs aus.
Das Original dieses Artikels wurde von der russischen Redaktion der Deutschen Welle am 16.04.2021 auf Russisch veröffentlicht: https://www.dw.com/ru/pod-raduzhnym-flagom-protiv-lukashenko-lgbt-soobshhestvo-i-protesty/a-57215607
Übersetzt aus dem Russischen für die Heinrich-Böll-Stiftung und die „Stimmen aus Belarus“ von Wanja Müller
[1] „Fake-Date“-Verbrechen sind die am weitesten verbreitete und gleichzeitig lebensbedrohlichste Kategorie von Übergriffen gegen LGBT*-Menschen, die aus monetären und oder ideologischen Hass-Motiven geschieht. Bei diesen im Voraus geplanten Verbrechen werden LGBT*-Menschen per Kontaktanzeige für ein privates Treffen in eine Falle gelockt, wonach die Opfer angegriffen, bedroht und erpresst werden. Um das Jahr 2012 wurden solche kriminellen Machenschaften in Russland bekannt, als die so genannte „Occupy-Pedphily“-Bewegung auftauchte, LGBT*-Menschen auf diese Weise in die Falle lockte, sie vor offener Kamera zusammenschlug, demütigte und die Videos ins Netz stellte. Die Nachahmer dieser Hass-Verbrecher tauchten ab 2013 auch in anderen Ländern auf, so u.a. auch in der Ukraine und in Belarus. - Anm. d. Ü.
[2] 2014 wurde Michail Pitschtschewski beim Verlassen eines Clubs nach einer Gay-Party angegriffen. Ihm und seinen Freunden wurde zugerufen „Schwuchtel“, er fragte nach „Wer ist hier eine Schwuchtel?“. Auf die Nachfrage folgte ein Angriff, in dessen Folge Michail einen Schädel-Basis Bruch erlitt und nach einem Jahr verstarb. Über seine homophobe Haltung machte der Angreifer, ein ehemaliger Sportler Dmitrij L. keinen Hehl, trotzdem verurteilte ihn das Gericht, auch im Berufungsverfahren, ausdrücklich nicht wegen einem Hassverbrechen (7 Jahr Haft), sondern wegen fahrlässiger Tötung (2 Jahre, 8 Monate).