Kinder sind laut UNICEF die Haupt-Leidtragenden des Klimawandels. Und das, obwohl sie am wenigsten für die Klimakrise verantwortlich sind. Wenn am 20. September der diesjährige Weltkindertag unter dem Motto Kinderrechte jetzt! begangen wird, gehört das Recht auf eine gesunde Umwelt für unsere Autorin zwingend dazu!
Fast jedes zweite Kind weltweit ist nach Schätzung von UNICEF durch die Auswirkungen des Klimawandels "extrem stark gefährdet". Betroffen seien rund eine Milliarde von 2,2 Milliarden Mädchen und Jungen, heißt es im Klima-Risiko-Index für Kinder, den das UN-Kinderhilfswerk Ende August 2021 veröffentlicht hat. Der Bericht unter dem Titel „Die Klimakrise ist eine Krise der Kinderrechte: Einführung des Klima-Risiko-Index für Kinder“ ist die erste umfassende Analyse von Klimarisiken aus der Perspektive von Kindern.[1] In einer globalen Rangliste zeigt er, in welchen Ländern und in welchem Maße Kinder klima- und umweltbedingten Schocks wie z.B. Wirbelstürmen und Hitzewellen ausgesetzt sind. Dafür wurden aktuelle Daten aus 163 Staaten ausgewertet, darunter auch Deutschland. Demnach sind praktisch alle Kinder weltweit (mehr als 99 Prozent) mindestens einem der in dem Index analysierten Risiken ausgesetzt. Fast eine Milliarde Kinder in 33 Ländern - fast die Hälfte aller Mädchen und Jungen auf der Erde - werden als „extrem stark gefährdet“ eingestuft. Am heftigsten betroffen sind Kinder in der Zentralafrikanischen Republik, im Tschad, in Nigeria, Guinea und Guinea-Bissau. Deutschland liegt in dem Index der am stärksten betroffenen Länder auf Rang 142 von 163 untersuchten Nationen.
Als Konsequenz aus seinen Befunden ruft UNICEF die Regierungen auf, „dringend mehr zu tun, um den Klimawandel und seine Auswirkungen zu bekämpfen und insbesondere die Treibhausgasemissionen zu verringern“. Außerdem müsse mehr in Maßnahmen zur Klimaanpassung und die Bildung im Bereich Klima- und Umweltschutz junger Menschen investiert werden. UNICEF fordert überdies, Kinder und Jugendliche müssten „in alle nationalen, regionalen und internationalen Klimaverhandlungen und -entscheidungen einbezogen werden“. Dies gelte auch für die UN-Klimakonferenz im November in Glasgow.
Im Unterschied zu anderen Indizes für Klima-und Umweltrisiken berücksichtigt der Index in besonderem Maße die Verletzlichkeit von Kindern in den Bereichen Kindergesundheit, Bildung, Ernährung, beim Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen sowie die soziale Sicherheit. Zudem wurden hierfür die neuesten Klima-und Umweltrisikodaten zu den lokalen Auswirkungen des Klimawandels verwendet und neben Klimagefahren auch umweltbedingte Gefahren analysiert, wie Luftverschmutzung oder andere toxische Belastungen, denen Kinder ausgesetzt sind. Das weltweit tätige Kinderhilfswerk terre des hommes konstatiert, dass arme und benachteiligte Kinder der Umweltzerstörung und den Folgen der Klimakrise deutlich stärker ausgesetzt sind, da sie häufig etwa neben Industrieanlagen oder an viel befahrenen Straßen leben.
Kinder in ärmeren Stadtteilen deutscher Großstädte sind häufiger Umweltbelastungen ausgesetzt und haben weniger Erholungsflächen
Diesen Zusammenhang konnte im Frühjahr 2021 auch eine gemeinsame Studie der Heinrich-Böll-Stiftung und des Deutschen Kinderhilfswerks belegen. Sie hat für sieben deutsche Großstädte untersuchen lassen, inwiefern mit der Ballung vieler ärmerer Kinder in einem Stadtteil eine infrastrukturelle Benachteiligung im Lebens- und Wohnumfeld einhergeht. Das Ergebnis: die größte Benachteiligung von Kindern in segregierten Quartieren liegt in der erhöhten Umweltbelastung. Für die untersuchten westdeutschen Städte und Berlin zeigen sich in und um die sozial benachteiligten Quartiere häufig größere Industrie- und Gewerbeflächen. Hinzu kommt für diese Städte, dass die Lärmbelastung bzw. die Lärmmehrfachbelastung in den sozial am stärkste benachteiligten Gebieten am höchsten ist. [2]
In sechs von sieben untersuchten Städten geht mit der Konzentration vieler ärmerer Kinder in einem Stadtteil gegenüber Kindern aus den privilegiertesten Stadtteilen zudem eine Benachteiligung bezüglich der ihnen zur Verfügung stehenden Spiel- und Erholungsflächen einher. Hier steht in den sozial privilegierten Gebieten mehr Erholungsfläche pro Kind zur Verfügung als in den anderen Stadtteilen.
Kinder haben das Recht auf eine gesunde Umwelt.
Egal ob hier oder anderswo: Kinder und Jugendliche brauchen gute Rahmenbedingungen, um ihr Potenzial voll zu entwickeln. Eine gesunde Umwelt ist dabei ebenso grundlegend wie eine ausreichende finanzielle Absicherung, gute Bildung und vielfältige Teilhabemöglichkeiten. Das Leben vieler Kinder wird bereits heute in vielen Ländern stark durch die Klimakrise eingeschränkt, ihre Chancen auf eine gute Zukunft nehmen durch die Zerstörung der Natur und des Klimas rapide ab. Der UNICEF-Bericht macht deutlich, dass Kindeswohl und Umweltschutz untrennbar miteinander verbunden sind und verdeutlicht die Dringlichkeit eines Kinderrechts auf eine gesunde Umwelt.
Die im Jahre 1989 verabschiedete UN-Kinderrechtskonvention gehört zu den wenigen Menschenrechtsverträgen, die Umweltfragen thematisieren – in Bezug auf Bildung (Art. 29 1(e) und Gesundheit (Art. 24 2 (c)) – ein direktes Kinderrecht auf eine gesunde Umwelt kennt auch sie bisher leider nicht. Hier aber wäre der Ort für die Vereinten Nationen gewesen, das Kinderrecht auf eine gesunde Umwelt zu verankern, als wichtiger Schritt sowohl für Kinder als auch für künftige Generationen, die einen überproportionalen Anteil an der Belastung durch Umweltschäden tragen. Aber vor mehr als 30 Jahren hat man diesem Thema noch nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt.
Heranwachsende sind Akteurinnen und Akteure im politischen Raum. Nehmen wir sie ernst.
Das Recht auf eine gesunde Umwelt beinhaltet auch das Recht, in einer über Generationen nachhaltigen, intakten Umwelt aufzuwachsen und diese mitzugestalten. Bisher jedoch stellen öffentliche Diskussionen um Umweltschutz und Kinderrechte zumeist einen rein fürsorglichen Ansatz in den Mittelpunkt: Kinder und Jugendliche gelten als besonders verwundbar und daher schützenswert, als eigenständige Trägerinnen und Träger von Rechte und Akteure werden sie noch nicht gesehen. Zwar hat sich die Sichtbarkeit von Heranwachsenden als politische Akteure mit den weltweiten Protesten von Fridays for Future verbessert, dennoch haben Kinder und Jugendliche nach wie vor eher selten die Möglichkeit, ihre Anliegen und Forderungen öffentlich vorzustellen oder im politischen Raum zu diskutieren, geschweige denn an den sie betreffenden Entscheidungen beteiligt zu werden. Das Deutsche Kinderhilfswerk schlägt die Einrichtung eines Ständigen Beirates für Kinder- und Jugendbeteiligung bei der Bundesregierung vor, in dem verbindliche Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen systematisch ausgebaut und strukturell verankert werden.
Hier kann politische Bildung ansetzen: Als Ort der Information, der politischen Orientierung kann sie Beteiligungsräume eröffnen und die Vielfalt von Möglichkeiten der Einmischung in die Politik und des Engagements für Kinderrechte und Klimaschutz deutlich machen. So kann sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass Kinder und Jugendliche verstehen, wie politische Prozesse funktionieren, um sich wirksam und nachhaltig in die Politik einbringen und aktiv sein zu können.
[2] Helbig, Marcel und Katja Salomo: Eine Stadt – getrennte Welten? Sozialräumliche Ungleichheiten für Kinder in sieben deutschen Großstädten. Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Wissenschaftszentrum Berlinfür Sozialforschung (WZB) und dem Deutschen Kinderhilfswerk (DKHW).