Ein feministischer Ansatz zur Bekämpfung globaler Armut

Kommentar

Feministische Entwicklungspolitik zielt darauf ab, Strukturen, die Frauen und marginalisierte Gruppen in Armut drängen, grundlegend zu verändern. Der Aufbau sozialer Sicherungssysteme kann hierzu einen konkreten Beitrag leisten.

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Im Zuge der Corona Pandemie und des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine haben sich materielle Ungleichheiten verschärft und Armut und Hunger global wieder zugenommen. Hinzu kommen die durch die Klimakrise verursachten Dürren und andere Extremwetterereignisse, die immer wieder zu neuen Belastungen, insbesondere für die einkommensschwächeren Teile der Bevölkerung in den Ländern des Globalen Südens führen werden.

Die Weltgemeinschaft darf in dieser Zeit ihr in der Agenda 2030 gegebenes Versprechen nicht vergessen: Armut in jeder Form und überall beenden (SDG 1). Menschen, die in Armut geraten, sind mit vielen Risiken konfrontiert, wie z.B. mit Ernährungsunsicherheit, Gesundheitsdefiziten oder sozialen Spannungen. Diese Risiken können deutlich verringert werden, wenn Menschen sozial abgesichert sind. Neben Bildungs- und Arbeitsmarktprogrammen gilt daher der Aufbau sozialer Sicherungssysteme als eines der wichtigsten Instrumente im Kampf gegen die Armut. Soziale Sicherungssysteme umfassen die Gesamtheit aller Maßnahmen, die Individuen vor individuellen und kollektiven Armutsrisiken schützen. Typische Instrumente sind etwa Sozialversicherungen (z.B. Arbeitslosen-, Kranken- oder Rentenversicherungssysteme) und Sozialhilfeprogramme (im Globalen Süden werden dabei häufig cash transfers eingesetzt). Auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) setzt sich in seinem im März veröffentlichten Strategiepapier “Feministische Entwicklungspolitik“ das Ziel, soziale Sicherungssysteme aufzubauen, mit dem speziel-len Fokus darauf, dass ein gleichberechtigter Zugang von Frauen zu diesen Systemen sichergestellt werden muss.

Die Schutzlücken in diesem Bereich sind jedoch gewaltig: Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung bislang ohne grundlegenden Sozialschutz auskommen muss.

Vorschläge zu einer global-solidarischen Finanzierung sozialer Basissicherungssysteme

Soziale Sicherung ist eine Aufgabe, die jeder Staat grundsätzlich aus eigenen Mitteln finanzieren muss. Für langfristig angelegte Programme, die den Menschen Sicherheit davor bieten in Armut zu fallen, fehlt einigen Ländern jedoch schlicht das Geld. Insbesondere, wenn sie zusätzlich mit einer Schuldenkrise und Steuerflucht konfrontiert sind. Damit auch sie ihre Bevölkerung sozial absichern können, muss die internationale Gemeinschaft ihnen Unterstützung zukommen lassen.

Bislang geschieht dies aber in deutlich zu geringem Umfang. Daher setzen sich Menschenrechtsexpert*innen und Nichtregierungsorganisationen für die Einrichtung eines Globalen Fonds für soziale Sicherheit ein. Ein derartiger multilateraler Finanzierungsmechanismus würde sich am Aufbau und der Ko-Finanzierung von sozialen Basisschutzsystemen – also einer grundlegenden Gesundheitsversorgung und Grundeinkommenssicherung – in Niedrigeinkommensländern beteiligen. Außerdem könnte er in besonderen Krisensituationen, wie z.B. Pandemien oder Naturkatastrophen, denjenigen Ländern helfen, die aufgrund kurzfristiger finanzieller Engpässe gezwungen wären, ihre Schutzprogramme wieder einzuschränken. Da auf lange Sicht jeder Staat in der Lage sein sollte, seine Basisschutzsysteme aus eigenen Mitteln zu finanzieren, müsste allerdings darauf geachtet werden, dass auch die inländische Ressourcenmobilisierung verbessert wird - etwa über Steuerreformen und Maßnahmen der Bekämpfung von Korruption und globaler Steuerflucht. Die internationale Ko-Finanzierung sollte in jedem Fall lediglich eine Übergangslösung darstellen. In Deutschland ist das Vorhaben eines solchen Globalen Fonds in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung aufgenom-men worden.

Globale soziale Sicherheit als integraler Bestandteil feministischer Entwicklungspolitik

Feministische Entwicklungspolitik und damit auch der Aufbau sozialer Sicherungssysteme handeln in einem Umfeld, das durch wirtschaftliche und politische Ungleichheiten zwischen Ländern des Globalen Südens und Nordens geprägt ist.

Das global vorherrschende Wirtschaftssystem basiert auf Wachstumsdrang sowie patriarchalen und post-kolonialen Strukturen, die festlegen, welche Arbeit als wertvoll gilt. So wird z.B. Sorgearbeit abgewertet und feminisiert und migrantisierte Personen werden in prekäre Beschäftigungen abgedrängt. Damit steigt das Armutsrisiko für Frauen und marginalisierte Personen, da sie weniger in den Arbeitsmarkt integriert oder in schlechter entlohnten Jobs tätig sind. Mehrfachdiskriminierte Personen sind in der Regel noch stärker betroffen, so haben beispielsweise indigene oder behinderte Frauen noch weniger Zugang zu Ressourcen. Mit Hilfe von Sozialleistungen werden diese Ungleichheiten zwar nicht völlig beseitigt. Aber sie lassen sich doch zumindest vermindern. Jedenfalls dann, wenn die entsprechenden Pro-gramme gender-sensitiv und intersektional konzipiert sind.

Feministische Entwicklungspolitik erkennt diese Zusammenhänge an und zielt darauf ab, diskriminierende Strukturen, die Frauen und marginalisierte Gruppen in Armut drängen, grundlegend zu verändern. Feministische Entwicklungspolitik beleuchtet dabei das Verhältnis von Armut, Sicherheit und Teilhabe. So heißt es in dem Strategiepapier „Feministische Entwicklungspolitik“ des BMZ:

„Nur da, wo alle Menschen gleichermaßen an einer Gesellschaft teilhaben können, ist diese stabil und friedlich“.

Soziale Sicherungssysteme können darüber hinaus transformativ für bestehende Geschlechterrollen sein, da sie die systemischen Ursachen dieser Ungleichheiten angehen und Frauen und marginalisierte Gruppen stärker in die Position versetzen, als Agents of Change für gesellschaftlichen Wandel einzutreten. Beispielsweise kann durch die Absicherung geschlechtsspezifischer Herausforderungen, wie Mutterschaft, der Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Bildung gewährleistet werden.

Paternalistisch geprägte Pfade verlassen und globale Machtungleichgewichte überwinden

Der neue Finanzierungsmechanismus – der Globale Fonds für soziale Sicherheit – könnte einen ganz wesentlichen Beitrag zur Bewältigung dieser Aufgaben leisten. Zudem bietet er die Chance, die bislang oftmals paternalistisch geprägten Pfade der klassischen Geber-Nehmer-Beziehungen zu verlassen. Dass dies ein Kernelement einer feministischen Perspektive auf die internationalen Beziehungen ist, wird auch in dem Strategiepapier des BMZ zur feministischen Entwicklungspolitik betont:

„Die Beziehung zwischen dem Globalen Süden und Globa-len Norden ist noch immer höchst ungleich und insbesondere geprägt von einer wirtschaftlichen Ungleichheit und dadurch bedingten Abhängigkeitsverhältnissen zwischen ‘Geber*innen‘ und ‘Nehmer*innen‘. Diese asymmetrische Beziehung basiert auf institutionalisierten diskriminierenden und rassistischen Strukturen, die das Machtgefälle konsolidieren, anstatt es abzubauen.“

Für den neuen Finanzierungsmechanismus sollte daher eine Governance-Struktur angestrebt werden, die dazu beiträgt, dass die Machtungleichgewichte zulasten der Länder des Globalen Südens überwunden werden können. Diese Länder müssten in den Gremien des neuen Fonds mit den gleichen Partizipations- und Stimmrechten wie die „Geber“ ausgestattet werden. Darüber hinaus sollten sie selbst darüber entscheiden können, wie sie ihre sozialpolitischen Prioritäten ausrichten und welche der bereits vorhandenen Programme mit Mitteln des Fonds weiter ausgebaut werden sollten. Von elementarer Bedeutung für die Arbeitsweise des Fonds wäre also das Prinzip der Eigenverantwortung (country ownership). Kriterium für die Bereitstellung finanzieller Ressourcen wäre allein, dass diese für den Ausbau diskriminierungsfreier Sozialschutzsysteme genutzt werden; wie dies im Detail umgesetzt wird, bliebe der Entscheidungsgewalt der Empfängerländer überlassen. Wichtig ist schließlich auch, dass die Zivilgesellschaft in die Entscheidungen des Fonds einbezogen wird.

Dass soziale Sicherungssysteme maßgeblich zur Überwindung extremer Armut, zum Schutz der Schwächsten und zur Stärkung gesellschaftlicher Krisenresilienz beitragen, ist mittlerweile unbestritten. Einigkeit besteht auch hinsichtlich der Synergieeffekte, die sich aus einer Verbesserung des Sozialschutzes für andere zentrale Themen wie z.B. Ernährungssicherheit und die Anpassung an die Klimakrise ergeben. Es reicht jedoch nicht aus, lediglich die Mittel zu erhöhen, die für diese Aufgaben global zur Verfügung stehen. Ein strukturell neuer Ansatz, eine konsequent an den Prinzipien feministischer Entwicklungspolitik orientierte Ausgestaltung der Zusammenarbeit ist notwendig, um Abhängigkeiten und Machtungleichgewichte in der globalen Armutsbekämpfung abzubauen. Der Vorschlag zur Gründung eines Globalen Fonds für soziale Sicherheit wäre damit ein wichtiger Teil der breiteren Debatte über die Dekolonialisierung der Beziehungen zwischen den Ländern des globalen Nordens und Südens.


Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.boell.de