Im Westbalkan beuten korrupte Politiker systematisch öffentliche Haushalte und natürliche Ressourcen aus. Zunehmend entdecken auch internationale Akteure die Länder als El Dorado für fragwürdige Investments. Es geht um prestigeträchtige Infrastrukturprojekte und begehrte Rohstoffe. In der EU werden Umweltstandards hochgehalten, die nur 1-2 Flugstunden südlich einfach ignoriert werden.
Mit Angriffen gegen den bosnischen Staat kennt sich Milorad Dodik bestens aus. Der Präsident der Republika Srpska (RS) katapultierte den serbisch dominierten Landesteil in den letzten Monaten immer weiter Richtung Abspaltung. Staatliche Institutionen sollen entmachtet werden, Entscheidungen des obersten bosnischen Gerichts in der RS keine Gültigkeit mehr haben. Am 9. Januar ließ Dodik, unter Teilnahme von paramilitärischen Formationen und Putins „Nachtwölfen“ einen Feiertag zelebrieren, den das Verfassungsgericht als verfassungswidrig eingeordnet hat. Sezession ist das Kernthema von Dodiks Polit-Propaganda. Gar eine neue Kriegsgefahr wird heraufbeschworen.
Dabei geht es Dodik und seiner Partei SNSD keinesfalls nur um nationalistische Belange. Vielmehr, nutzt die bosnisch-serbische Führungsriege ihre Machtposition vor allem als lukrative Einnahmequelle: Familienmitglieder und Parteifreunde saugen seit Jahren die staatlichen Budgets aus – bislang ohne Konsequenzen seitens der heimischen Justiz.
Bosnien und Herzegowina: Plünderung öffentlicher Ressourcen durch völkische Clans
Bestes Beispiel ist die Erfolgsstory von Dodiks Sohn Igor und Tochter Gorica: Mit der Firma Prointer, mit der beide in Verbindung gebracht werden, wurden einer Untersuchung des Branchenmagazins Capital zufolge in den letzten Jahren öffentliche Aufträge im Wert von rund 196 Millionen Konvertible Bosnische Mark KM (rund 100 Millionen Euro) an Land gezogen. Während Dodik medienwirksam immer wieder die Existenz des bosnischen Staates infrage stellt, verdienen er und seine Familie über öffentliche Aufträge mit eben diesem Staat ein Vermögen.
Um dem „Patronage-Netzwerk“ ein Ende zu bereiten, setzten die USA Dodiks Kinder und einige ihrer Firmen Ende Oktober 2023 auf eine Sanktionsliste. Die Firmen hätten in etlichen Bereichen ein quasi Monopol und würden von öffentlichen Institutionen vor allem in der Republika Srpska protegiert, konstatierte die Leiterin des bosnischen Büros von Transparency International, Ivana Korajlic.
Seit dem Friedensschluss von Dayton dominieren in Bosnien und Herzegowina drei ethnisch zentrierte Machtblöcke, die zuvor auch in Kriegsgeschäfte und Verbrechen involviert waren. Heute bedienen sich neben Dodiks SNSD auch die völkisch-kroatische HDZ sowie die bosniakische SDA bei lukrativen Staats-Aufträgen. Außerhalb ihrer Einflussbereiche wird kaum ein Job vergeben: Die Ethno-Clans gerieren sich als gehöre der Staat ihnen.
Politik und Business-Interessen
Die systematische Ausbeutung ist auf diese Weise zu einem Leitmotiv des bosnischen Politik-Systems geworden. Das Muster ist immer dasselbe: Vermeintliche nationale Interessen der drei Ethno-Blöcke werden mit privaten und parteinahen Geschäften verknüpft. So entstand für eine kleine Machtclique in einem der ärmsten Länder Europas ein gut laufendes Business-Modell – zum Schaden des Staates und der Allgemeinheit.
Bei der Plünderung der Ressourcen zeigen sich die Clans überaus kreativ: Besonders brisant - vor allem in Zeiten des Klimawandels - ist der Diebstahl ganzer Waldflächen. Berechnungen zufolge verschwänden in Bosnien jährlich rund zwei Millionen Kubikmeter Wald, erklärt Anes Podic von der Umweltorganisation Eko Akcija in Sarajevo. Weithin sichtbar ist der gut organisierte Raub unter anderem auf dem Olympischen Berg Jahorina unweit der Stadt Pale. Umweltschützer:innen erklären, dass die kriminellen Machenschaften nur möglich seien, weil auch hochrangige Politikvertreter involviert seien.
Doch es sind nicht nur die heimischen Machthaber, die den Raubbau vorantreiben, zunehmend mischen auch internationale Konzerne mit: In Vares, einer kleinen Bergstadt unweit der bosnischen Hauptstadt Sarajevo, schickt sich Adriatic Metals an, Bodenschätze im großen Stil zu fördern. Die Investments des britisch-australischen Konzerns mit Hauptsitz in London, stehen seit Monaten in der Kritik. Mehrere Umweltschutzorganisationen wandten sich mit einem offenen Brief an die Botschafter der USA, Großbritanniens und Norwegens, die die geplanten Bergbau-Arbeiten unterstützen, gar den „nachhaltigen Charakter“ des Minen-Projekts loben. Beobachter vor Ort sehen das anders: Die Mine sei das Gegenteil von nachhaltig, sie bedrohe schützenswerte Landschaften, so die Kritik der Umweltschützer:innen, die zusammen gegen das Großprojekt vorgehen.
Goldgräberstimmung - ohne Rücksicht auf Fauna und Flora
Der Wald in Vares und Umgebung gilt als wichtiger Lebensraum für Wildtiere, darunter Bären und Wölfe. Um die Bergbauaktivitäten zu ermöglichen, monieren Aktivisten, seien Teile des Waldes abgeholzt, existierende Raumordnungspläne geändert worden. Der Waldanteil, der durch das Projekt gefährdet ist, sei auf diese Weise klein gerechnet worden, berichtet Prof. Samir Lemes von der Nichtregierungs-Organisation Eko Forum Zenica. Er kritisiert vor allem die mangelnde Transparenz hinsichtlich der geplanten Bergbau-Aktivitäten. Offiziell soll Zink, Blei, Baryt und auch Silber gefördert werden.
Der Preis für das Gemeinwesen sei hoch, monieren Umweltverbände: Für die Gewinnung der Rohstoffe würden der Artenreichtum und die unberührte Natur geopfert, darunter ein jahrhundertealter, geschützter Urwald. Dalibor Ballian, Professor für Waldwirtschaft an der Universität in Sarajevo, beobachtet, dass aufgrund der vorbereitenden Arbeiten bereits Tiere aus der Region abgewandert sind. Die Vegetation habe sich verändert, das Trinkwasser sei verunreinigt, etwa eine Quelle in unmittelbarer Nähe der Mine. „Die Gegend wird sich in eine Industrie-Wüste verwandeln“, warnt Wald-Experte Ballian.
Dies geht auch aus einem Bericht der international agierenden NGO Bankwatch hervor. 3000 Quadratmeter Wald seien „versehentlich“ an einer „falschen Stelle“ gerodet worden, kritisiert Pippa Gallopp von Bankwatch. Bankwatch moniert zudem die Rolle der Europäischen Bank für Wiederaufbau EBRD: Die Bank kaufte Anteile an der Bergbaugesellschaft Adriatic Metals, die dokumentierten Umweltproblematiken seien dabei außer Acht gelassen. Bankwatch sieht hier einen klaren Verstoß der EBRD gegen ihre eigenen Prinzipien in der Umwelt- und Sozialpolitik.
Exorbitante Gewinnaussichten
Die exorbitanten Gewinnaussichten lassen jedoch die fragwürdigen Praktiken in den Hintergrund treten: Adriatic Metals habe seit 2018 einen Kursgewinn von 750 Prozent erlebt, berichtet das internationale Branchenblatt Miningscout. Der Hype um Rohstoffe ist in vollem Gange – und auch anderswo in Bosnien wittern internationale Firmen lukrative Geschäfte. Am Fluss Pliva gäbe es einen „unglaublichen“ Goldfund, jubilierte Anfang 2023 der Miningscout und konstatiert: „Auf dem Balkan herrscht Goldgräberstimmung.“ Die Balkan-Staaten würden der neue Rohstoff-„Hotspot“.
Umweltschützer, die auf die Einhaltung internationaler Konventionen zum Schutz von Natur und Umwelt verweisen, finden dagegen kaum Gehör. In Bosnien berichten Aktivisten von Besuchen ausländischer Diplomaten, die die unmissverständliche Botschaft aussenden, man möge sich mit Kritik an geplanten Groß-Projekten wie in Vares zurückhalten. Schließlich seien sie im Interesse Bosniens. Dass im Herbst 2023 auch die Berner Konvention die bosnischen Behörden aufgefordert hat, die Aktivitäten in Vares ruhen zu lassen, bis die eingereichten Klagen von Umweltschützer:innen juristisch Beachtung gefunden hätten, wird von Adriatic Metals ignoriert.
Fest steht: Westliche Vertreter, die nicht selten die korrupten Strukturen vor Ort kritisieren und regelmäßig zu deren Bekämpfung aufrufen, machen nun - da es um begehrte Rohstoffe geht - mit den lokalen und nicht selten korrupten Politvertretern gemeinsame Sache. Auf dem weltweiten Korruptionsindex von Transparency International von 2022 rangiert Bosnien auf Platz 110 - zusammen mit Malawi und Sierra Leone.
Doch das verschlafene bosnische Städtchen Vares ist nur einer von vielen Orten, die vor allem europäische Firmen derzeit in den Blick nehmen. Das hat Gründe: Im März 2023 erließ die EU den Critical Raw Material Act, mit Hilfe dessen der Nachschub an wichtigen Materialien für Lieferketten und Produktionsprozesse sichergestellt werden soll. Brüssel geht es dabei um eine größere Autonomie in der Rohstoffgewinnung, vor allem soll die Abhängigkeit von China reduziert werden.
Opfert die EU den Balkan für Dekarbonisierung?
Schon jetzt zeichnen sich mit der Neuausrichtung der Europäischen Union für die Länder in Südosteuropa weitreichende Negativ-Effekte ab: Schließlich ist die Gewinnung von Metallen nicht nur schädlich für die Umwelt, sondern birgt auch ernsthafte Gefahren für die lokalen Communities. Dass die gewonnenen Rohstoffe zur Umstellung auf eine klimaschonendere Mobilität genutzt werden sollen, macht es nicht besser. Diesen Widerspruch thematisierte im Sommer 2022 bereits das Portal Balkan Green Energy News und fragte: „Opfert die EU den Balkan, um die Ressourcen für eine „Grüne Transition“ sicher zu stellen?“
Umweltschützer Lemes vermutet, dass es in Vares auch um Lithium geht, auch wenn das offiziell keiner der Verantwortlichen bestätigt: Lithium wird zur Herstellung von Autobatterien genutzt, mit dem Boom der E-Mobilität steigt der Bedarf an dem wertvollen Material ins Unermessliche. Bislang existieren die größten Vorkommen in Australien, Chile, China und Argentinien. Nun sind die bislang ungenutzten Ressourcen auf dem Balkan an der Reihe.
Immer lauter wird die Kritik, dass der Westen mit zweierlei Maß misst: Während in der EU Umweltschutz und Artenreichtum groß geschrieben werden, herrscht bei vielen auf dem Balkan der Eindruck vor, dass die Investoren hier beide Augen zudrücken. Die kaum ausgebildeten demokratischen Strukturen und ihre politischen Akteure - mit verschwindend geringem Interesse an Umwelt- und Naturschutz - machen es westlichen Akteuren jedenfalls einfach, ihre ökonomischen Interessen zu verfolgen.
Serbien: Ein Autokrat und das Lithium-Vorkommen
Auch die jüngsten diplomatischen Volten im Windschatten des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine lassen sich mit Blick auf den Ressourcenappetit westlicher Akteure erhellen: Trotz der fortgesetzten Politik der Destabilisierung, die Serbien, ein treuer Partner Moskaus, verfolgt, zeigen sich sowohl die USA als auch EU-Vertreter auffallend milde gegenüber Belgrads Machthaber Präsident Aleksandar Vucic. Im Dezember 2023 wurden die Parlamentswahlen mit massiven Einschüchterungen und einseitiger Mediendominanz beeinträchtigt, monierte die OSZE in einem Bericht, dennoch hielt sich die EU mit Kritik bislang auffallend zurück.
Dies erstaunt umso mehr als Präsident Vucic mit einer Doktrin der „serbischen Welt“, die die Vereinigung aller Serben in einem Land vorsieht, insbesondere die multiethnischen Nachbarstaaten Bosnien und Herzegowina sowie Kosovo in Gefahr bringt - und damit die geltende Friedensordnung einzureißen droht.
Dessen ungeachtet loben US-Diplomaten Vucic weiterhin als „guten Partner“. Dass Belgrad verdeckt Gewalt im Norden des Kosovo schürt, dass serbische Kräfte auf kosovarischem Boden drei Kosovo-Polizisten kidnappten und unter serbischer Beteiligung ein Terrorakt mit einem Toten verübt wurde, wird in Washington und Brüssel wohlweislich ignoriert. Sowohl die USA als auch die EU verfolgen ein Kalkül: Vucic soll aus der Umklammerung mit Moskau herausgelöst werden, so heißt es inoffiziell als Erklärung für die fortgesetzte Appeasement-Politik. Doch es gibt Indizien dafür, dass es dem Westen noch um ganz andere Dinge geht.
Jadar-Tal: Eine der größten Lithium-Minen Europas?
Denn Serbien hat neben seiner aggressiven Außenpolitik gegenüber den Nachbarstaaten vor allem eines zu bieten: Lithium. Experten gehen von einem geschätzten Volumen von 1,3 Prozent der weltweiten Reserven aus. Im Westen des Landes, im Jadar-Tal, sollte mit dem britisch-australischen Konzern Rio Tinto eine der größten Lithium-Minen Europas entstehen. Dabei hat das Konsortium einen mehr als ramponierten Ruf: In der Vergangenheit hatte der weltweit tätige Bergbau-Riese des öfteren bewiesen, dass für ihn weder Umwelt noch Kulturdenkmäler von Bedeutung sind.
Auch im Jadar-Tal warnen Wissenschaftler, Umweltschützer:innen und Vertreter:innen der serbischen Opposition seit Jahren vor langfristigen Schäden für Agrarflächen sowie vor der Vergiftung der Flüsse Drina und Save, die die Wasserversorgung von 2,5 Millionen Menschen sicher stellen.
Der Deal zwischen dem Konzern Rio Tinto und der serbischen Führung kam, wie so oft, auf intransparente Art und Weise zustande. Massive Proteste, bei denen Zehntausende Menschen im Winter 2021-2022 in ganz Serbien wochenlang Straßen und Autobahnen blockierten, zwangen das im Innern immer autokratischer agierende Belgrader Regime jedoch dazu, das Projekt erst einmal zu stoppen.
Dennoch scheint eine Fortführung des Lithium-Abbaus realistisch: Präsident Vucic nennt seine Entscheidung inzwischen einen großen Fehler. Rio Tinto treibt derweil weitere Landkäufe voran.
Neue Form der Kolonialisierung?
Trotz des massiven Widerstands gegen das Lithium-Projekt, trotz der nachvollziehbaren Argumente unterstützt auch die EU-Kommission das Minenprojekt im Jadar-Tal mit Nachdruck. Im September 2023 unterzeichnete die EU-Kommission mit der Belgrader Führung einen „letter of intent“ für eine strategische Partnerschaft zur Nutzung kritischer Materialien, darunter Lithium. Auch die Bundesregierung verfolgt ein explizites Interesse an den geplanten Bergbauaktivitäten Schon Angela Merkel, die in ihrer Regierungszeit einen engen Kontakt zu Vucic pflegte, ließ keinen Zweifel daran, dass der serbische Lithium-Reichtum von deutschem Interesse ist. Außenministerin Annalena Baerbock unterstrich zuletzt ebenfalls die Bedeutung von Lithium.
Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang zudem, dass 2020 zwischen Berlin und Belgrad eine „institutionalisierte Partnerschaft zur Stärkung der industriepolitischen Strategie gemäß des EU Green Deals und gleichzeitiger Stärkung der Lieferketten“ geschlossen wurde, wie der österreichische Standard enthüllte. Berlins Beitrag innerhalb dieser Kooperation sei ein deutscher Berater, der dem Präsidialbüro Vucics direkt zugeordnet sei. Rio Tinto soll nach einem Bericht der Le Monde auch Kontakte zu BMW, VW und Daimler aufgebaut haben. Hinsichtlich der Lithium-Geschäfte mit Belgrad hält man sich in Berlin jedoch eher bedeckt.
Die Gegner des auf Eis gelegten Projektes im Jadar-Tal wollen weiter Widerstand leisten: Man müsse weltweit die kursierenden Narrative hinterfragen, fordert die serbische Aktivistin Bojana Novakovic. Sei es in Ordnung, wenn Natur, fruchtbares Land und indigene Bevölkerungen vernichtet würden, alles nur im Namen einer sogenannten „grünen Transition?“, fragt sie auf ihrem Twitter-Account. Anfang September 2023 rief Novakovic das EU-Parlament auf, den „Ausverkauf von Natur und Menschen“ zu stoppen - eine direkte Kritik am erlassenen Critical Raw Materials Act der EU. Man müsse von Lateinamerika bis Europa Menschenrechte und indigene Communities schützen und sich abzeichnende Umweltdesaster vermeiden, so Novakovics Forderung.
Die EU agiere auf dem Balkan scheinheilig - so der immer lauter werdende Vorwurf von Umweltschützer:innen. Hochgradig toxische Fertigkeiten würden in arme Länder verlegt, Umweltproblematiken de facto ausgelagert. Der Präsident des Zentrums für Umwelt aus dem bosnischen Banja Luka, Tihomir Dakic, umschreibt die Lage so: „Wir haben es mit einer neuen Form der Kolonialisierung zu tun.“
Verwerflich sei laut Dakic nicht nur die mangelnde Transparenz bei der Vergabe der Konzessionen für die umweltschädigende Ausbeutung der Ressourcen, sondern vor allem die offene Kooperation internationaler Unternehmen und staatlicher Akteure mit undemokratischen Kräften, die die Internationale Gemeinschaft selber immer wieder als korrumpiert bezeichneten. Für Dakic steht fest: Der Balkan rücke mit seinen bislang ungenutzten Ressourcen gerade wegen seiner illiberalen Macht-Strukturen in den Fokus westlicher Investoren.
Albanien: Flugzeuge im Schutzgebiet
Umstrittene Projekte finden sich auch in anderen Balkanstaaten. Zwar konnten in Albanien Umweltschützer:innen jüngst einen beachtlichen Erfolg feiern: Der Vjosa-Fluß mit seinem einzigartigen Ökosystem wurde zum Nationalpark erklärt. Gleichzeitig soll nahe der Hafenstadt Vlore unweit des Mündungsdeltas des Vjosa-Flusses ein Flughafen entstehen - und das, obwohl das Gebiet als eines der größten Ökosysteme im Mittelmeerraum gilt. Ein Lebensraum für mehr als 220 Vogelarten , für Geier, Flamingos und Pelikane auf ihrer Zugroute zur Adria, ein Paradies auch für Reptilien. Kritiker sind überzeugt: Das Großprojekt mit einem Umfang von 34.000 Quadratmetern würde diese schützenswerte Landschaft unwiederbringlich zerstören. „Die Flugzeuge“, sagt der Leiter der europaweit tätigen Umweltorganisation Euronatur, Gabriel Schwaderer, „würden quer durch die Schutzzone fliegen“.
Den Verantwortlichen ist dies egal: Albaniens Premierminister Edi Rama steht demonstrativ hinter den Plänen. Und auch hier monieren Umweltschützer:innrn, dass die offiziellen Stellen bei der Konzessionsvergabe getrickst hätten: Die Gebietsgrenzen des Schutzraums seien geändert, der Flughafen gezielt ausgelagert worden. Dass das Projekt gegen nationales und internationales Recht verstößt, sieht inzwischen auch die EU-Kommission so. Anfang September 2023 forderte zudem die Berner Konvention die albanische Regierung auf, den Flughafenbau einzustellen.
Rechtswidriges Projekt: München-Airport involviert
Brisant ist vor allem, dass an dem umstrittenen Projekt auch eine Tochterfirma des Münchener Flughafens (Munich Airport International GmbH) beteiligt ist. Das Engagement einer von der öffentlichen Hand getragenen Flughafen-Gesellschaft sei „außerordentlich problematisch“, urteilt Euronatur. Der Munich Airport International, so die Forderung, müsse sich umgehend aus dem rechtswidrigen Projekt zurückziehen.
Doch der Flughafen ist nicht das einzige Großprojekt, das derzeit für Ärger sorgt: Nördlich der Hafenstadt Vlora plant die albanische Regierung in Kooperation mit den US-Konzernen Exxon und Excelerate Energy ein LNG- Terminal. Von hier aus sollen große Mengen Flüssig-Gas nach ganz Europa distribuiert werden. Excelerate-CEO Steven Kobos erklärte, mit dem Standort an der albanischen Küste ließe sich die Energiesicherheit nicht nur von Albanien, sondern auch von Italien, Bulgarien und weiteren EU-Ländern erhöhen.
Die LNG-Pläne, hält der Tiraner Umweltaktivist Lavdosh Ferruni dagegen, würden die grüne Bucht der Hafenstadt Vlora als Rekreationsfläche zerstören. Wenige Meter neben den Gas-Terminals findet sich ein Wald mit naturbelassenen Stränden, auch der Nationalpark Vjosa-Narta ist nicht weit. Die Bauwut an der albanischen Küste nehme schon jetzt gigantische Ausmaße an, so Ferruni, das geplante LNG-Terminal der US-Firmen würde nun auch noch die letzten grünen Meter vernichten. Gegen die LNG-Pläne haben Aktivist:innen um Ferruni daher Klage eingereicht, in der Hoffnung, dass die Umweltzerstörungen noch gestoppt werden können.
Um Klagen künftig zu umgehen, versucht die Regierung von Edi Rama derzeit die „limitierenden“ Grenzen des Naturschutzes zu beseitigen. Um den Jahreswechsel wurde zu diesem Zweck überstürzt ein Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, mit dem künftig die Umwidmung von Naturschutzgebieten fernab demokratischer Kontrolle realisiert werden könnte. Zuständig wäre dann der Nationale Territorialrat (NTR), ein exekutives Organ, das vom Premierminister selbst geleitetet wird. Umweltschützer:innen sehen in dem Manöver den klaren Versuch, Schutzgebiete für eine intensive und graue Infrastrukturentwicklung zu öffnen.
Montenegro: Cliquenwirtschaft, Geldgier und ein Ecozid
Die Geldgier der Investoren und das kaum ausgeprägte Verantwortungsbewusstsein lokaler Politiker:innen gegenüber der einzigartigen Natur und reichen Biodiversität auf dem Balkan kennt kaum Grenzen: Auch in Montenegro zerstört seit Jahren ein ungebremster Bauwahn Landschaften und Städte: Budvas einstmals grüne Hügel versinken in Beton, Apartmentblöcke erstrecken sich, wohin das Auge reicht.
Eine der größten Umweltsünden ist zweifelsfrei das Teilstück der Autobahn Bar-Boljare, an der das chinesische Konsortium China Road and Bridge Corporation (CRBC) maßgeblichen Anteil hatte. Bei den Bauarbeiten wurde ein kilometerlanger Streckenverlauf des von der UNESCO geschützten Tara-Flusses zerstört. Der Wildfluss gilt als einer der schönsten Europas. Das Flussbett wurde ruiniert, der Artenreichtum nahm nachhaltigen Schaden - jahrelang hatten Umweltschützer:innen vor den Gefahren durch die Baumaßnahmen gewarnt. Bis heute aber wurde der angerichtete Schaden, den sie als „Ecozid“ bezeichen, nicht repariert, stellte die Montenegrinische Agentur für Umweltschutz zu Jahresbeginn 2024 fest.
Und auch hier gab die Politik ganz oben grünes Licht: Den Vertrag hatte Langzeit-Ministerpräsident Milo Djukanovic, der laut den Enthüllungen im Kontext der „Pandora Paper“ in einem Geflecht aus Briefkastenfirmen hohe Geldsummen versteckt hält, mit der Chinese Road and Bridge Company klandestin ausgedealt. Das Konsortium wird indirekt vom chinesischen Staat kontrolliert. Nach wie vor sind die Vertragsdetails weitgehend unbekannt.
Das Muster hinter derartigen „Partnerschaften" mit den „Strong Men“ des Balkan sei immer dasselbe, urteilt die ehemalige deutsche Botschafterin in Montenegro, Gudrun Steinacker: „Es existiert eine klassische Form von State Capture: Ein Mann und seine Familie, eine Clique um diesen Mann herum, eine Partei, die Kontrolle des Staatsapparates. Dazu Klientelismus, der Staat als größter Arbeitgeber. Intransparenz auf allen Ebenen, zudem die Fassade eines Rechtsstaats.“
Und nicht zu vergessen: Global agierende Firmen sowie Staaten, die gerade aus derartigen Strukturen ihren Profit ableiten wollen. Sie tragen mit intransparenten und rechtswidrigen Investments dazu bei, dass vor allem der Westen in der Region immer mehr an Glaubwürdigkeit verliert. Dass in der EU Umweltstandards hochgehalten werden, die nur ein bis zwei Flugstunden weiter südlich nicht mehr gelten sollen, ist nicht akzeptabel. Tatsächlich wäre Brüssel gut beraten, künftig stärker als Korrektiv aufzutreten und den Umweltschützer:innen vor Ort in ihrem Kampf für globale Umweltstandards eine professionelle und nachhaltige Unterstützung zukommen zu lassen. Internationale Konventionen zum Schutz von Flora und Fauna sollten auch im Südosten Europas eine nicht verhandelbare Gültigkeit besitzen.