Der aktuell geltende internationale Rechtsrahmen zur Regulierung von Pestiziden weist Leerstellen auf, die ein ernsthaftes Risiko für die Bevölkerung in den sogenannten Entwicklungsländern darstellen. 2023 wurde eine internationale Allianz gegründet, um einen Rechtsrahmen auf Augenhöhe zu erarbeiten.
Pestizide werden weltweit in der industriellen Landwirtschaft verwendet und vermarktet. Auf internationaler Ebene ist allerdings nur ein kleiner Teil der auf dem Markt verfügbaren Substanzen reguliert. Im Gegensatz dazu gelten in einigen Ländern sehr strenge Regulierungen, die viele der gefährlichen Pestizide verbieten. Es besteht eine beträchtliche Asymmetrie zwischen den nationalen Einsatzbeschränkungen im globalen Norden und Süden: Während der Norden sich vor den Auswirkungen vieler vor Ort hergestellter Substanzen schützt, haben die so genannten Entwicklungsländer flexiblere Gesetzgebungen. Diese Praxis wird von vielen Wissenschaftler*innen als eine Form des chemischen Kolonialismus bezeichnet.
Auf dem globalen Markt für Pestizide wurden 2022 etwa 78,2 Mrd. US-Dollar umgesetzt. Das von den in der Europäischen Union ansässigen Firmen kontrollierte Marktvolumen entspricht etwa einem Drittel dieses Wertes, obwohl bekannt ist, dass diese Substanzen schwerwiegende Schäden für die menschliche Gesundheit und die Natur bedeuten. Anfang der 1990er schätzte die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass etwa eine Million Menschen pro Jahr unfreiwillig durch Pestizide vergiftet werden. Heute sind es bereits 385 Millionen unverschuldete Vergiftungen pro Jahr – 11.000 mit tödlichem Ausgang.
Die aktuell geltende internationale Gesetzgebung zu Risiken in Verbindung mit Pestiziden setzt sich aus drei Übereinkommen zusammen: das Basler Übereinkommen (1992), das Stockholmer Übereinkommen (2004) und das Rotterdamer Übereinkommen (2004). Die Basler Konvention kontrolliert die grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle (nicht nur Pestizide) und ihre Entsorgung. Es beinhaltet die mit gefährlichen Pestiziden verunreinigten Abfälle, aber nicht die Pestizide an sich. Durch die Änderung des Übereinkommens und das sogenannte Basler Ausfuhrverbot verbietet die Konvention die Verbringung von gefährlichen Abfällen aus (als entwickelt verstandenen) Mitgliedsländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Nichtmitgliedstaaten.
Das Stockholmer Übereinkommen regelt die sogenannten persistenten organischen Schadstoffe (Persistent Organic Pollutants/ POPs). Diese Substanzen werden als hochgradig giftig eingestuft, da sie nur schwer abbaubar und zusätzlich bioakkumulativ sind, sich also in lebenden Organismen anreichern und dort verbleiben. POPs verbreiten sich über weite Strecken und wurden sogar in Teilen der Erde nachgewiesen, in denen sie zuvor noch nicht eingesetzt wurden. Das Stockholmer Übereinkommen legt global das Verbot von 16 als Pestizide verwendeten Wirkstoffen fest. Die Liste ist noch vergleichsweise neu, umfasst aber ganze 383 Wirkstoffe, die in der EU verboten oder nicht zugelassen sind, bzw. 460 Substanzen, die in einem oder mehreren Ländergruppen bereits verboten sind.
Die dritte Konvention, das Rotterdamer Übereinkommen, legt fest, dass die Mitgliedstaaten, also diejenigen, die Pestizide exportieren oder importieren, das sogenannte Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung (PIC) umsetzen müssen. So müssen die Länder, die als besonders giftig eingestufte Pestizide importieren, von den exportierenden Ursprungsländern über die Risiken dieser Wirkstoffe aufgeklärt werden. Wenn sie den Import durchführen, bedeutet das, dass sie in Kenntnis dieser Risiken sind und ihnen zustimmen. In der Praxis enthebt die Unterzeichnung dieser „Zustimmung“ zum Import der Chemikalien die Exportländer – zumindest rechtlich - von der Verantwortung für die durchgeführten Exporte.
So hält die aktuelle Regulierung mit all ihren Lücken die asymmetrischen Verhältnisse zwischen den reichen Ländern des globalen Nordens und Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen aufrecht. Diese Asymmetrie beinhaltet nicht nur die wirtschaftlichen Aspekte, sondern auch die ungleiche Art und Weise, auf die die jeweilige Bevölkerung den hochgiftigen Chemikalien ausgesetzt wird. Die internationalen Konventionen für giftige Substanzen werden nicht allen aktuellen Anforderungen zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Natur gerecht: Lebensmittelsicherheit und -souveränität auf globaler Ebene lässt sich nicht ohne Grenzwerte für die Verwendung und für die Rückstände von Pestiziden sowie letztlich ein globales Nutzungsverbot von Pestiziden erreichen.
Eine Möglichkeit, die Defizite des aktuellen Rahmens zur Regulierung von Pestiziden zu überwinden, wurde 2023 mit der International Pesticide Standard Alliance (IPSA) geschaffen. Der Zusammenschluss von Partner*innen aus Wissenschaft, Regierungen und Zivilgesellschaft der fünf Kontinente hat zum Ziel, einen internationalen Regulierungsrahmen für Pestizide vorzuschlagen. Dieser wird auf Augenhöhe zwischen Ländern des globalen Südens und Nordens erarbeitet. Der Vorschlag soll im Rahmen der Vereinten Nationen vorgelegt werden und sicherstellen, dass die Rechte der zukünftigen Generationen auf eine gesunde Umwelt und auf das Leben Vorrang haben vor jedweden wirtschaftlichen Interessen des Pestizidsektors.
Die IPSA setzt ihren Fokus auf die Abschaffung von hochgefährlichen Pestiziden weltweit (basierend auf der Liste des Pesticide Action Network), die Einführung von einheitlichen Standards für die Rückstände von Pestiziden in Lebensmitteln und Wasser, das Verbot des Sprühens von Pestiziden aus der Luft und die schrittweise Ermöglichung eines Wandels vom aktuellen chemieabhängigen Landwirtschaftsmodell hin zu einer lokalen und nachhaltigen Produktion, die die Ernährungssicherheit und -souveränität in den Mittelpunkt stellt.
Der Beitrag erschien zuerst auf Portugiesisch im Pestizidatlas des Brasilienbüros der Heinrich-Böll-Stiftung. Auf der Webseite des Büros finden Sie weitere portugiesischsprachige Beiträge, Graphiken sowie Kurzvideos mit einigen Autor*innen.
Übersetzung aus dem Portugiesischen: Kirsten Grunert
Redaktion: Julia Ziesche und Bega Tesch