Wie verändern die Pläne rund um den European Green Deal die europäische Agrarpolitik? Was muss passieren, damit in Europa eine klima- und biodiversitätsfreundliche Landwirtschaft betrieben wird, die einen lebenswerten ländlichen Raum schafft? Und welche Rolle spielen Ernährung und Handel?
Martin Häusling
Mitglied des Europäischen Parlaments Greens / EFA
Hannes Lorenzen
Präsident von ARC2020
in einem Gespräch mit
Dr. Christine Chemnitz
Referentin Internationale Agrarpolitik, Heinrich-Böll-Stiftung Berlin
Christine Chemnitz: Habt ihr das Gefühl, dass die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) anders diskutiert wird, nachdem die Biodiversity und Farm to Fork Strategies im Rahmen des Green Deal auf dem Tisch sind? Werden die Diskussionen nochmal kritischer geführt? Gibt es neue Aspekte?
Martin Häusling: Ja, ich muss sagen, ich war überrascht von den Farm to Fork und Biodiversity Strategien und von dem Green Deal. Es hätte fast ein grünes Programm sein können. Es fehlen allerdings konkrete Umsetzungsansätze. Es gibt zum Beispiel keine Anleitung, wie die Kommission fünfzig Prozent Pestizide einsparen oder in den nächsten Jahren dreißig Prozent der Fläche unter Schutz stellen will. Was mich ärgert ist, dass die Kommission meist nur auf die Mitgliedsstaaten verweist und deren sogenannte strategische Pläne. Es gibt aber noch nicht die Instrumente.
Auf der Seite vieler Bauern, aber auch auf der Seite vieler Abgeordneter im Agrarausschuss, herrscht noch immer die Mentalität „es geht uns schon schlecht und jetzt sollen noch mehr Auflagen kommen, dafür brauchen wir mehr Geld“. Die Situation im Rat ist nicht anders als im Agrarausschuss, da geht's erstmal in erster Linie ums Geld sichern. Vielleicht spielen ein paar Mitgliedsländer mit, aber ich habe kein Vertrauen darin, dass die Mitgliedsländer, die seit Jahren alle Reformen mitblockiert haben, jetzt Farm to Fork und Biodiversitätsstrategie umsetzen.
Christine Chemnitz: Es ist also mehr Grund zur Sorge als Grund zur Hoffnung, dass die Mitgliedsländer eine ganz andere, viel wichtigere Rolle spielen sollen?
Hannes Lorenzen: Ich teile Martins Sorge, dass die Beharrungskräfte weiterhin enorm stark sind im Agrarausschuss des Europäischen Parlaments, im Rat, aber auch in den nationalen Mitgliedstaaten. Die Renationalisierung kann Grund zu Hoffnung und zu Sorge zugleich sein.
Auf der einen Seite gibt es keinen klaren, verpflichtenden europäischen Rahmen, um Green Deal, Farm to Fork und die Biodiversity Strategy unter einen Hut zu bringen. Da wo jetzt die strategischen Pläne erarbeitet werden, wird viel des Alten beibehalten. Wie bei vielen Reformen hat die Kommission ein zutreffendes Bild gezeichnet von all den Problemen, die bewältigt werden müssen. Doch leider folgt daraus wenig, weil es eben Widerstand gibt von Seiten der Befürworter der Förderung dieser Industrialisierung der Landwirtschaft.
Auf der einen Seite gibt es mehr Flexibilität für die Mitgliedsstaaten zu entscheiden, was denn die nächste GAP sein sollte. Vielleicht können die Covid-Krise und die zusätzlichen Gelder für die Mitgliedsstaaten, die jetzt mehr Möglichkeiten haben, dazu führen mal genauer hinzugucken, was sie jetzt damit im Hinblick auf die Herausforderungen machen können. Das machen wir im ARC2020 ja auch mit unserer Analyse der entstehenden nationalen Strategic Plans. Diese Debatte hat jetzt mit Farm to Fork, Green Deal, Biodiversitätsstrategie, eine neue Grundlage – zwar nicht konkret genug, aber immerhin.
Christine Chemnitz: Was sind aus eurer Sicht die wichtigsten Sachen, die jetzt passieren müssen, um die GAP klimafreundlich und biodiversitätsfreundlich zu machen und einen lebenswerten, ländlichen Raum zu schaffen?
Hannes Lorenzen: Es muss wirklich eine ganz grundlegende Umstrukturierung der Förderung geben. Also im Moment beruht die Förderung überwiegend auf Größe oder Hektaren und davon profitieren die großen Betriebe. Die investieren öffentliches Geld im Grunde in eine Landwirtschaft der Vergangenheit. Förderung muss an andere Leistungen gebunden werden, wie die Biodiversitätsförderung oder CO2-Bindung.
Außerdem muss eine Infrastruktur her, die das möglich macht. Es gibt schon lange eine Arbeitsteilung: in den USA und Brasilien wird Soja für unsere Fleischproduktion produziert und bei uns mehr Getreide und fast keine Proteine. Wir müssen aber eine vernünftige Balance zwischen Ackerbau und Viehzucht hinkriegen, sonst lösen wir die ganzen Probleme mit der intensiven Tierhaltung nicht. Fruchtfolgen müssen möglich sein, es muss dafür Saatgut zur Verfügung stehen, die Bauern müssen die Möglichkeit haben, ihr Futter selbst herzustellen. (...) Auch bei Vermarktung, Verarbeitung und Schlachtungen muss wieder eine Dezentralisierung stattfinden, die den Bauern erlaubt ein vernünftiges Einkommen zu erzielen. Auch das Geld aus dem Recovery-Plan darf nicht mehr in die Verteilung von Hektar gehen. Es muss in diesen Umbau der Infrastruktur gehen.
Martin Häusling: Die Krise bietet die Chance, bestehende Strukturen zu überdenken. Was jetzt in Deutschland in der Fleischindustrie passiert, hat ja viele erschreckt. Ich hoffe, der Schrecken hält noch ein bisschen an. Nicht, dass das so wie bei BSE geht, dass das irgendwann dann wieder ausläuft und man geht wieder zur normalen Agenda zurück.
Ich kritisiere die Umweltleistung in der ersten Säule. Die sind freiwillig für die Bauern. Das meiste Geld geht in benachteiligten Regionen, wo es sowieso schon Umweltprogramme gibt, aber nicht in die intensiv wirtschaftenden Regionen, die es am dringendsten bräuchten, dass mehr Biodiversität gefördert wird und, dass wieder mehr regionale Strukturen für Verarbeitung und Handel geschaffen werden. Wir brauchen eine starke Konditionalität der GAP, damit sich alle an Mindest-Umweltauflagen halten, aber selbst das ist heftig umstritten.
Wie Hannes sehe ich die Abhängigkeit von Soja kritisch. Wir brauchen endlich europäische Eiweiß-Strategiepläne. Die europäische Agrarpolitik richtet sich immer noch auf den Export aus, vor allem bei Fleisch und Milch und auf eine globalisierte Agrarindustrie. Wir reden immer noch über Handelsverträge, zum Beispiel mit Mercosur, die daran nichts ändern. Die strategische Ausrichtung müsste grundsätzlich anders werden, dann kämmen wir zwangsläufig zu anderen Ergebnissen.
Christine Chemnitz: Vieles wird schon lange kritisiert. Reformen sind immer wieder gescheitert. Wo sind die größten Hebel, um die Forderungen für größere Konditionalität und eine ganz andere Ausrichtung da auch, einzubringen?
Martin Häusling: Meine Hoffnung ist, dass wir eine Kommission haben, die auch einfordert. Die nicht nur schöne Sachen auf den Tisch legt, sondern sich konkret mit der Umsetzung befasst. Die Verantwortung kann nicht auf die Mitgliedsstaaten abgewälzt werden. Man kann den Ländern mehr Spielraum lassen, aber nicht ohne klare und konkrete Umwelt- und Sozialforderungen. Die Zeit drängt, wir können uns keine weiteren Jahre der Untätigkeit leisten.
Christine Chemnitz: Hannes, was macht dir bezüglich der Diskussionen um die nationalen Strategiepläne in den Mitgliedsländern Hoffnung? Die Zivilgesellschaft ist der Politik in Deutschland zumindest voraus, habe ich das Gefühl.
Hannes Lorenzen: Auf etwas zu hoffen, glaube ich, nützt nicht mehr viel. Ich habe Reformversuche fünfunddreißig Jahre beobachtet und ich glaube, dass die GAP eigentlich so nicht mehr reformierbar ist. Meine Hoffnung geht auf etwas Neues. Zwischen Umwelt und Landwirtschaft ist der gesamte ländliche Raum als Entwicklungspotential in der Covid-Krise das Interessante. Entwickelt sich daraus eine Lebensmittelpolitik, die eine völlig neue Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen Bauern und Verbrauchern ermöglicht, also völlig andere Strukturen, faire Preise durch Qualität? Gibt es eine neue umfassende Politik für die ländliche Entwicklung? NGOs, alternativen Bauernverbände, VerbraucherInnen müssen jetzt mit einer Stimme reden. Die Grünen haben eine wichtige Rolle zu spielen, gerade da sie jetzt in Frankreich so gestärkt sind.
Martin Häusling: Da müssen aber alle mitspielen, auch alle Grüne, die in den Bundesländern in Verantwortung sind. Da ist auch über den Bundesrat noch Luft nach oben bei der GAP. Außerdem müssen zivilgesellschaftliche Gruppen differenziert argumentieren. Man muss das Gesamtbild vor Augen haben, und nicht jeder nur seine Sonderinteressen. Tierschutz geht beispielsweise nur dann langfristig, wenn Zucht, Haltung UND Vermarktung sukzessive umgestellt werden und die Produkte ehrliche Preise bekommen, das hängt alles zusammen.
Dafür benötigt man aber einen Aktionsplan. Es reicht nicht, an Symptomen rumzudoktern. Dabei muss ein wichtiges Kriterium sein, ob ein Produktionsweg Ökosystemleistungen beeinträchtigt oder fördert. Da muss differenziert werden. Beispiel Rind: Frisst es Importfutter, ist es eine klimatische Katastrophe, frisst es auf der Weide ist es aktiver Klimaschutz. Wir brauchen eine Kampagne, hinter deren zentralen Forderungen sich viele versammeln können.
Christine Chemnitz: Kommen wir zum Schluss nochmal zurück auf den Recovery-Plan und den fünfzehn zusätzlichen Milliarden. Wie kann man nun sicherzustellen, dass dieses Geld jetzt sinnvoll ausgegeben wird?
Hannes Lorenzen: Die Mitgliedsstaaten müssen ja jetzt mit den Strategic Plans etwas anwenden, was sie bisher nur in der zweiten Säule mussten. Sie können nicht einfach nur Gelder vergeben, sondern sie müssen planen. Und sie müssen sagen, warum sie dies oder jenes mit dem Geld machen. Das ist die Grundlage. Mit dem Recovery Plan werden Existenzen gerettet und wir müssen sicherstellen, dass wir sie in eine Zukunft führen, die nachhaltig Bestand hat. Wir müssen Leute in der Landwirtschaft halten, damit sie diese bei den Themen Umwelt, Soziales und Lebensmittelqualität nach vorne bringen. Das ist, denke ich, die Devise, die wir nach vorne tragen müssen; als Grüne vor allen Dingen.
Christine Chemnitz: Martin, an dich auch noch eine letzte Frage zum Abschluss, weil du es vorhin schon einmal angesprochen hast. Es geht um die Verankerung der europäischen Landwirtschaft in einem globalen Agrarhandel. Es ist schwierig, den Wandel in Richtung mehr Qualität anzustoßen, wenn man global konkurrieren will. Was muss passieren, damit die EU diesen Weg überhaupt gehen kann? Ganz konkret: Was hältst du von einer Carbon Tax? Oder dem Mercosur-Abkommen?
Martin Häusling: Man hat uns Grünen ja immer vorgeworfen, wir wären im Agrarbereich Protektionisten. Stimmt nicht. Aber wir wollen einen qualifizierten Marktzugang und das muss nach europäischen Standards geschehen. Dass jetzt die Kommission selbst eine CO2-Steuer, ich nenne es mal so, an den Grenzen festlegen will, ist eine Chance für eine andere Agrarpolitik, aber nur ein Schritt. Wir können unseren Bauern nicht neue Auflagen machen und gleichzeitig anderen sagen, sie können liefern, was und wie sie wollen. Das wäre der erste Punkt, wo ich sage, das ist eine echte Chance, da anzuknüpfen für die Landwirtschaftspolitik.
Eine spannende Lehre aus der Krise ist nun, dass die Bereiche am heftigsten gelitten haben, die auf den Export gesetzt haben. Alle, die in regionale Strukturen investiert haben, sind überwiegend unbeschadet aus der Krise rausgegangen. Lagerhaltung, große Molkereien, Fleischlager und andere haben wieder Geld kassiert. Wir müssen endlich kapieren, dass die krisengefährdeten Branchen diejenigen sind, die einheitliche industrielle Commodities für den Weltmarkt herstellen. Wir müssen die kleinen und mittleren regionalen Strukturen aufbauen. Wenn wir mit dem Recovery Plan genau in diese Strukturen investieren, dann haben wir's richtig gemacht. Das ist jetzt eine Riesenchance.
Christine Chemnitz: Vielen Dank.