Knapp 30 Menschen kamen am Mittwochabend in die Üstra Remise an der Goethestrasse in Hannover und diskutierten über Chancen und Grenzen deutschen Engagements in internationalen Konflikten. Die Stiftung Leben & Umwelt/ Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen (SLU) hatte im Rahmen der Reihe „Grüner Salon“ zum Fishbowl-Diskussionsabend eingeladen. Fachliche Impulse gaben der Grüne Bundestagsabgeordnete Ottmar von Holtz, Vorsitzender des Ausschusses für Zivile Krisenprävention, Konfliktberatung und vernetztes Handeln, Anja Petz, Geschäftsführerin der KURVE Wustrow und Prof. Dr. Michael Staack von der Universität der Bundeswehr Hamburg.
Nach einer kurzen Begrüßung durch Stiftungsrat Thomas Wilde gab Ottmar von Holtz einen ersten Input zur aktuellen Außenpolitik und Krisenprävention der Bundesregierung. Darin wurde vor allem das finanzielle Ungleichgewicht zwischen Militärausgaben und Entwicklungshilfe deutlich: Während jährlich 42 Milliarden Euro des deutschen Haushalts in Militärausgaben fließen, werden nur 10 Milliarden Euro für die Entwicklungshilfe in die Hand genommen. Dies führe dazu, dass deutsche Außenpolitik häufig militärisches Vorgehen erwäge ohne zivile Handlungsoptionen auszuschöpfen. Außerdem beklagte der Bundestagsabgeordnete der Grünen eine zunehmende Fokussierung der europäischen Länder, Außenpolitik vor allem zur Abwehr von Migration zu nutzen. Es werde nicht genug gegen Umweltzerstörung, Unterdrückung und Hunger getan sondern stattdessen lieber Grenzen geschlossen. Entsprechend betreibe auch das deutsche Entwicklungsministerium inzwischen Fluchtbekämpfung und arbeite weniger an einem Abbau von Fluchtursachen. Zugleich räumte von Holtz ein: „Militär kann ein Zeitfenster für Krisenbewältigung schaffen, nicht aber den Frieden selbst.“ Deswegen fordert der Abgeordnete eine Stärkung der zivilen Krisenprävention gegenüber der Bundeswehr.
Anja Petz nahm im Anschluss das Wort auf und stellte die KURVE Wustrow vor. Die „Kurve“ ist ein Bildungsverein, der in den 8oer-Jahren entstanden ist, sich für gewaltfreie Konfliktlösungen einsetzt und über die letzten Jahre weiter internationalisiert hat. Frau Petz betonte besonders die Möglichkeiten ziviler Konfliktlösung und forderte unter anderem eine Ausweitung und Weiterentwicklung der zivilen Friedensdienste. Die Bundeswehr als ultima ratio einzusetzen, gestalte sich in ihren Augen schwierig, auch deshalb, weil der Begriff und die umliegenden Umstände „ultima ratio“ so ungenau definiert seien. Zudem müssten die Menschen in den Mittelpunkt gestellt werden, die später von den veränderten Verhältnissen betroffen seien: „Frieden können nur die Menschen schaffen, die ihn hinterher auch leben wollen.“
Prof. Dr. Staack, der über Konzepte und Strategien kooperativer Sicherheit an der Universität der Bundeswehr in Hamburg forscht, sprach sich dafür aus, zivile Konfliktbearbeitung zu stärken. Darüber hinaus plädierte er dafür statt der aktuellen Fokussierung auf eine konfrontative Sicherheit wieder an einer kooperativen Sicherheit zu arbeiten und doch auch für diese, die militärische Bedeutung der Bundeswehr nicht zu unterschätzen. Einen Aspekt von Petz aufgreifend schlug er vor, eine Akademie für zivile Krisenprävention zu gründen um eine Bündelung der Expertisen in diesem Feld zu erreichen und dieser zugleich mehr gesellschaftliche Reputation zu verschaffen. Auch wies er darauf hin, dass unfaire wirtschaftliche Handelsbedingungen der Europäischen Union Migration förderten und damit sogar zur weiteren Krisenverschärfung beitrügen.
In der folgenden Diskussion wurde vor allem das 2% Ziel der NATO kritisch debattiert. Ein Anstieg der Militärausgaben von ungefähr 1,3% des Bruttoinlandsprodukts auf 2% habe zur Folge, dass man eine stärkere Waffenmacht als Russland besäße, mahnte Prof. Dr. Staack. Eine Aufrüstung in dieser Dimension sei unverhältnismäßig und überhaupt nicht notwendig stimmten auch Frau Petz und Herr von Holtz zu. Stattdessen war man sich in der Runde einig, lieber die angestrebten 0,7% in Entwicklungshilfe zu stecken, in der aktuell nur knapp 0,5% des Bruttonationaleinkommens ankommen. Auch zum Thema Waffenexporte war man sich weitestgehend einig, jene reduzieren zu wollen und die Angaben des Koalitionsvertrages, keine Waffen an im Jemen-Krieg beteiligte Länder schicken zu wollen, in Zukunft auch eingehalten werden müssen.
Viele der Zuhörenden beteiligten sich nach und nach am Fishbowl-Format und nahmen die zwei freien Stühle in der Diskussionsrunde ein, sodass über das ursprünglich angedachte Ende um 21 Uhr hinaus noch weitere viele spannende Fragen zur Möglichkeit Deutschlands in weltweiten Konflikten und zur Rolle der USA und Russland gestellt wurden, bis die drei Referent*innen ihr Schlussplädoyer heilten und Anne Bonfert die Veranstaltung zu einem gelungene Ende brachte.
Jan-Niklas Kemper (Stiftung Leben & Umwelt)
Veranstalterin: Stiftung Leben & Umwelt / Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen., Warmbüchenstraße 17, 30159 Hannover, www.slu-boell.de, info@slu-boell.de, 0511 30 18 57 0