Die Suche nach einer Endlagerung hochradioaktiver Abfälle ist unverändert aktuell. Der Salzstock Gorleben ist für die Endlagerung ungeeignet. Als Gesellschaft stehen wir vor einer Art Reifeprüfung, denn die Frage der Endlagerung ist bisher in keinem Land der Welt gelöst worden.
Der Salzstock Gorleben im niedersächsischen Wendland ist für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle ungeeignet: Fast 45 Jahre nach der Standortbenennung scheidet er aus der neuen Suche nach einer geeigneten Geologie aus. Dies sickerte am Abend vor der öffentlichen Vorstellung des ersten Berichts der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) durch. Die Nachricht steigerte die Spannung, mit der wir im Wendland auf die offiziellen Ergebnisse warteten.
Obwohl ich die Mängel des Salzstocks seit Jahrzehnten kenne, war ich überwältigt, als ich verfolgte, wie die BGE diese Entscheidung begründete: der Gorlebener Salzstock scheide nach Anwendung geo- wissenschaftlicher Abwägungskriterien insbesondere „nach Bewertung des Schutzes des einschlusswirksamen Gebirgsbereiches durch das Deckgebirge“ aus.
Nicht politisch, wie einige es an die Wand malen, sondern geologisch wurden die Nichteignung Gorlebens sowie 79 anderer Salzstöcke begründet.
Ich gehörte zu denen, die die Ergebnisse der Endlagerkommission und die Verabschiedung des Standortauswahlgesetzes 2017 trotz Kritik unterstützten. Ich hielt es damals aber für falsch, den Neuanfang der Suche nach einem Endlager damit zu belasten, Gorleben trotz geologischer Mängel im Verfahren zu belassen. Dieses Festhalten schürte das Misstrauen, das Verfahren könne mit dem alten Standort enden. Dieses wurde nun widerlegt. Die konsequente Anwendung geologischer Eignungskriterien zeigt für mich die Ernsthaftigkeit des Neuanfangs.
Der BGE-Bericht, der die geologisch grundsätzlich für die Endlagerung geeigneten Gebiete zeigt, macht die Frage „wohin mit dem Atommüll?“ zu dem, was sie sein muss: zu einer nationalen Frage. Bisher war die Frage, ob man für oder gegen Gorleben sei. Auch die Antwort, der Müll müsse nun mal irgendwo hin, haben wir oft genug gehört. Nicht nur in Bayern sondern auch anderswo konnten die meisten gut mit Gorleben leben. Das ist menschlich, aber unverantwortlich angesichts der Aufgabe, den gefährlichsten Müll, der in unserem Land produziert wurde, so sicher wie möglich und dauerhaft unterirdisch zu lagern.
In Deutschland gibt es drei Geologien – Salz, Ton und Granit –, die Wissenschaftler als für die Endlagerung geeignet ansehen. Sie finden sich in unterschiedlicher Ausdehnung in etlichen Bundesländern. Der BGE-Bericht zeigt: Das Irgendwo kann auch nebenan sein, nicht nur in Bayern, sondern auch in Niedersachsen und im Wendland.
Das weitere Eingrenzen von Gebieten und Standorten liegt vor uns. Dies kann in einem zehnjährigen Prozess nur mit stabiler Zustimmung zum Verfahren gelingen. Voraussetzung bleibt, dass die grundlegenden Kriterien und der Prozess respektiert werden. Das Verfahren muss wissenschaftsbasiert, fair, transparent und mit bestmöglicher Bürgerbeteiligung organisiert werden. Es muss fehlerfreundlich sein und Rücksprünge zulassen. Die große Mehrheit von Abgeordneten des Bundestages, die dem zustimmte, muss jetzt wie der Bundesrat auch dazu stehen.
Die geplanten Fachkonferenzen zur Diskussion und Kritik des BGE-Berichts leiten eine neue Form der Beteiligung ein. Die BGE, das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), das Nationale Begleitgremium (NBG), Politiker/innen und Bürger/innen betreten unbekanntes Terrain in einer schwierigen Frage.
Als Gesellschaft stehen wir vor einer Art Reifeprüfung. Ich halte die tiefe geologische Lagerung für den richtigen und voraussetzungsvollen Weg. Die Aufgabe, den hochradioaktiven Müll bestmöglich zu lagern, ist bisher in keinem Land der Welt gelöst worden.
Die oft gelobten Auswahlverfahren in Schweden und der Schweiz haben mir gezeigt: Wir sind in Deutschland weit weg von der im Schweizer System festverankerten Bürgerbeteiligung. Und wir haben nicht im entferntesten so viel Vertrauen in unsere staatlichen Institutionen wie die Schweden. Beides wird notwendig für das Verfahren sein: Der Respekt für die Bürger/innen und ihre ernsthafte Beteiligung und der Respekt vor denen, die in ihren Institutionen die neue Suche nach einem Endlager verantworten.
In den letzten Tagen wurden wir des Öfteren daran erinnert, dass der Ausstieg aus der Atomenergie ein besserer Rahmen für die Endlagersuche sei. Das stimmt. Allerdings bleibt die Lösung der Endlagerfrage gleich schwierig.
Ob wir den kommenden Generationen diesen Weg verantwortlich vorbereiten können, entscheidet sich in der Qualität aller Verfahrensschritte. Sicher ist, dass die Aufgabe mindestens noch einer Generation übergeben werden muss.
Der Text erschein zuerst im UmweltMagazin, Bd. 50 (2020), Nr. 10-11.