„Wenn ich einmal Feuer gefangen habe…“ – voller Einsatz in der Endlagersuche 

Ich-Protokoll

Die 70-Jährige Ingrid Lohstöter liebt ihre Heimat in Angeln im Nordosten von Schleswig-Holstein. Auf diesem Fleckchen Erde gibt es gleich vier Gebiete, die möglicher Ort für ein Endlager für radioaktiven Atommüll werden könnten. Sie will den zuständigen Behörden deshalb genau auf die Finger schauen bei der Suche und merkt: Das ist bitter nötig. Ein Ich-Protokoll, aufgezeichnet von Mareike Andert 

Portrait Ingrid Lohstöter

Als ich im Herbst 2020 erfuhr, dass der Salzstock Sterup, auf dem ich lebe, möglicher Ort für ein Atommüllendlager wird, engagierte ich mich sofort. Ich liebe diese Gegend. Ich fühle mich den Menschen hier sehr verbunden. Wir haben eine tolle Landschaft, ein Naturschutzgebiet direkt an der See mit Meeresvögeln aller Art und Wildpferden. An unseren Naturstränden ist der Kommerz noch nicht angekommen und die Menschen haben das Herz auf dem rechten Fleck.

Laut dem Zwischenbericht der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) wohnen wir außerdem in zwei riesigen Teilgebieten aus „weichem“ (66.000 qkm) und „hartem“ Ton (18.000qkm), die acht beziehungsweise sieben Bundesländer durchziehen.

In den Prozess einsteigen, ihn kritisch beobachten und in die Materie eintauchen – mir war gleich klar, dass frau gar nicht früh genug damit anfangen kann.

Leider hatte ich im Prozess zunächst oft das Gefühl, abgewimmelt zu werden mit meinen Fragen und Anregungen. Darauf reagiere ich allergisch!

Das bin ich in öffentlichen Auseinandersetzungen nicht gewöhnt und daran will ich mich auch nicht gewöhnen! Bis jetzt lief vieles schief in diesem Prozess, finde ich. Beide Behörden – BGE, aber auch das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), das jetzt vor allem für die Organisation der Beteiligung der Öffentlichkeit gefragt ist, müssen dazulernen! Wir, die Zivilgesellschaft lernen natürlich auch.

Ich arbeitete früher als Rechtsanwältin, deshalb habe ich einen schnellen Blick dafür, wo es hakt. Ich bin unerschrocken, kann sehr hartnäckig sein und melde mich zu Wort, wenn ich merke, dass grundlegende Rechte verweigert werden. Umgekehrt lobe ich auch gerne und erkenne an, wenn etwas gut läuft und Konsequenzen gezogen werden. Wenn ich einmal Feuer gefangen habe, bleibe ich dran! Diese Kompetenzen will ich in den Prozess einbringen. Ich kämpfe für die Beteiligung der Öffentlichkeit, dafür, dass sie weiter geht nach den drei Beratungsterminen der Fachkonferenz.

Der Zwischenbericht atmet Zeitdruck aus – das finde ich beunruhigend.

Die Suche nach einem Ort für das Endlager soll zumindest zehn Jahre dauern. Der Müll soll dort eine Millionen Jahre sicher verpackt sein. Da geht es um Gründlichkeit und darum, alle Leute mitzunehmen, nicht um Schnelligkeit.

Im sogenannten Zwischenbericht benannte die BGE 90 Teilgebiete, über 50 Prozent der Fläche Deutschlands, als solche Gebiete, die eine günstige geologische Gesamtsituation für die sichere Endlagerung hochradioaktiver Abfälle erwarten lassen. Der Bericht wurde Im Herbst 2020 vorgelegt. 

Ich war schockiert als ich realisierte, dass die BGE für den Zwischenbericht nicht die vorhandenen ortsspezifischen geologischen Daten auswertete, wie es das Standortauswahlgesetz (StandAG) vorschreibt, sondern sich am Gesetz vorbei auf Referenzdaten stützte, also zum Beispiel geologische Modelle, Literaturangaben, beide oft veraltet, und geologische Karten. Im Lauf des Verfahrens sagten Gutachter:innen, die vom Nationalen Begleitgremium (NBG) beauftragt waren, dass diese noch nicht mal dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen.

Für den wenig erkundeten Salzstock Sterup habe ich das hingenommen und setze auf den weiteren Verlauf des Verfahrens. Ganz anders in weiten Teilen Bayerns, Sachsens und Baden-Württemberg. Der geologische Dienst aus Bayern hat mich in einer Sitzung des NBGs im Dezember 2020 mit dem Hinweis aufgeschreckt, dass dort in den endlagertauglichen Tiefen, anders als von der BGE angenommen, gar kein Granit beziehungsweise Kristallin existiere. Dies würden die Schichtenverzeichnisse von dort stattgefundenen Bohrungen, die er der BGE zur Verfügung gestellt hatte, eindeutig zeigen. Das bedeutete, dass nicht mal die Mindestanforderungen für ein Endlager erfüllt waren. Außerdem wurden durch „Referenzdaten“ dort günstige geologische Verhältnisse für den sicheren Einschluss in Granit postuliert, für ein Wirtsgestein also, dass dort gar nicht existiert.   

Dies hat mein Anfangsvertrauen in die Arbeit der BGE nachhaltig erschüttert. Ebenso, dass sie zumindest anfangs, diese Kritik vehement zurückwies und die Ausweisung der Teilgebiete, entgegen dem Gesetzeswortlaut, aus der „Flughöhe“ verteidigte. Von der im Zwischenbericht angepriesenen Fehlerkultur und der Fähigkeit, dazu zu lernen, konnte ich nichts feststellen. Ich stellte daraufhin einen Antrag, die BGE zu verpflichten, die Ausweisung der Teilgebiete auf Grundlage der geologischen Daten neu vorzunehmen und bis dahin die weiteren Beratungstermine auszusetzen. Die Konferenzleitung mutete mir leider eine Begründungszeit von unter einer Minute zu. Beratung und Diskussion im Plenum gab es ebenfalls nicht. Der Antrag wurde abgelehnt.

Glücklicherweise machte das NBG im April 2021 in einer Videokonferenz die Fehler und Mängel des Zwischenberichts öffentlich. Das war gut! Das NBG macht eine hervorragende Arbeit. Sie sind die Wächter:innen des Verfahrens. Das stärkt mir den Rücken. Die Arbeitsgruppe Vorbereitung (AG V) hat insgesamt trotz Pannen und Schwierigkeiten auch einen tollen Job gemacht.

Inzwischen hat auch die BGE bei mir gepunktet. Sie hat angekündigt jetzt im zweiten Teil der ersten Phase die geologischen Daten auszuwerten und hat ihre jetzige Vorgehensweise und Planung mehrfach in Videokonferenzen verständlich erläutert. Auch gehe ich davon aus, dass Fragen nun zügig beantwortet werden. Seit den ersten Online-Sprechstunden durch die BGE hat sich also etwas getan. Die waren noch sehr frustrierend, da Fragen nur schriftlich gestellt werden und man nicht nachhaken konnte. Es war unmöglich Kritik anzubringen. Deswegen habe ich mich dann aufs Briefeschreiben verlegt. Über 50 habe ich mittlerweile verfasst. Ich führte außerdem viele Telefongespräche mit Expert:innen, nahm an rund 150 Videokonferenzen teil, um mit der Thematik vertraut zu werden und mich einzuarbeiten.

Im Dezember 2020 entdeckten wir – die Bürgerinitiative „Angeliter bohren nach“ – als Kasus Knaktus die weitere Beteiligung der Öffentlichkeit nach Abschluss der Fachkonferenz.

Die muss laut Gesetz transparent und immer gewährleistet sein. Dafür setze ich mich nun sehr stark ein. Eigentlich sollte das eine Selbstverständlichkeit sein. In einem Brief vom Dezember 2020 an das BASE habe ich bereits auf die Notwendigkeit eines Folgeformats für die Öffentlichkeits-Beteiligung aufmerksam gemacht und dieses auch für die Zeit gefordert, in der die BGE die geologischen Daten auswertet. Hierauf hat das BASE mit PR-Sprech, also inhaltsleer, reagiert. Auch brauchte sie fast ein halbes Jahr, um auf die Forderung der Fachkonferenz nach einer weiteren Öffentlichkeitsbeteiligung im Februar 2021 konstruktiv einzugehen. Eine Beteiligung kann nur gelingen, wenn wir auf Fragen, Anregungen und Forderungen auch ein Feedback erhalten. Auch ist dies die Grundlage von Respekt.  

Das Standortauswahlgesetz schreibt vor, dass die Öffentlichkeit beteiligt werden muss. Als erstes Beteiligungsformat gab es 2021 drei öffentliche Fachkonferenzen. Wie nun das Folgeformat für diese Beteiligung gestaltet sein wird, wird momentan beraten. 

Wegen dieser Hinhaltetaktik des BASE sind auch viele Akteur:innen ausgestiegen: Die Gruppe der Ehrenamtlichen vom BUND, die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, Ausgestrahlt… und viele Mediator:innen, die die Endlagersuche oft schon Jahrzehnte begleitet haben. Sie beklagen, dass die Partizipation zu einem Zustimmungsmanagement degradiert wurde. Ich kann das verstehen, aber sie fehlen! Ihr Engagement, das Fachwissen ist weg – das ist schmerzlich zu spüren. Ich finde, es ist Aufgabe des BASE, konstruktiv auf diese Bürgerinitiativen zuzugehen, sie nicht zu vergraulen, sondern sie wieder ins Boot zu holen, denn diese Gruppierungen können das gesamte Verfahren nur besser machen.  

Ich selber bin ja erst seit einem Jahr dabei, deshalb habe ich noch Durchhaltevermögen. Ich gebe Behörden nicht die Macht, über mein Leben zu entscheiden, deswegen lasse ich mich nicht abschrecken, solange ich es für sinnvoll halte, den Prozess inhaltlich und kritisch weiter zu begleiten: Ich möchte Antworten auf meine Fragen und eine echte Partizipation. Das macht gleichzeitig auch großen Spaß! Auch die Geologie finde ich hochspannend. Jede und jeder kann einsteigen, mitdiskutieren, voneinander lernen und sich vom Thema anstecken lassen – jederzeit!

Inzwischen haben Vertreter:innen der Zivilgesllschaft und Mitarbeiter:innen des BASE und der BGE einen Kompromiss zur Fortsetzung der Öffentlichen Beteiligung erarbeitet. Der Partizipationsbeauftragten Hans Hagedorn hat hier vermittelt. Danach wird es mindestens einmal jährlich ein großes öffentliches Fachforum geben. Dazwischen tagt ein Beratungs- und Planungsteam mit gewählten Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, des BASE, der BGE und dem NBG, um die Arbeitsfortschritte der BGE kritisch zu begleiten und absehbare Probleme zu klären. Vielleicht bietet dies die Möglichkeit, dass die Einwände der Öffentlichkeit tatsächlich einbezogen und die offenen Fragen geklärt werden, es also ein wirkliches Feedback gibt. Ich halte es allerdings für unverzichtbar, dass ein solches Gremium öffentlich tagt.  

Es geht jetzt nicht darum, dagegen zu sein, sondern den Standort mit dem kleinsten Risiko zu finden: transparent, nachvollziehbar und mit öffentlicher Beteiligung.

Wenn das nicht geschieht, wird der gefundene Standort für ein Endlager von der Bevölkerung nicht hingenommen werden.

Politisch aktiv war ich mein ganzes Leben. In der Anti-Atomkraft-Bewegung allerdings nur zeitlich begrenzt. In den 70er Jahren bin ich als junge Frau auf Demonstrationen gegen den Bau des Atomkraftwerkes Wyhl bei Freiburg gegangen und war bei der Bauplatzbesetzung dabei. Später, Anfang der 80er, war ich einmal auf Protesten in Gorleben. Aktiv war ich seit Mitte der 70er in der Frauenbewegung. Ich habe Frauen und Mädchen als Rechtsanwältin vertreten. Das Atomkraftthema ruhte. In die Endlagersuche bin ich als Newcomerin eingestiegen und erst seit Herbst 2020 mit der Bürgerinitiative „Angeliter bohren nach“ dabei.

Die Bürgerinitiative „Angeliter bohren nach“ gründeten wir 2015/2016, als hier an den „Flanken“ des Salzstocks nach Öl gebohrt werden sollte. Durch die Mobilisierung der Öffentlichkeit und dem Schulterschluss zwischen Gemeinden, Kreis, Wasserverbänden und Bevölkerung haben wir erreicht, dass der Investor abgesprungen ist. Anschließend waren wir im Stand-By. Nach der Veröffentlichung des Zwischenberichts wurden wir wieder hellwach. Durch das Engagement gegen die Ölbohrung kennen wir die Gesteinsschichten, die den hiesigen Salzstock und seine Umgebung durchziehen. Dabei erlebte ich auch, wie bürgernaher und respektvoller Umgang von Seiten der Behörden aussieht. Deshalb ist meine Messlatte nun hoch für die öffentliche Beteiligung.  

Wenn am Ende doch meine Heimat Endlager wird? Shit! Aber shit happens.

Um die Entscheidung aber akzeptieren zu können, brauchen der Prozess und die Partizipation Hand und Fuß – das ist bis jetzt nicht der Fall. Ich gehe davon aus, dass BGE und BASE einlenken. Bisher aufgetretene Rechtsfehler und Versäumnisse könnten dann im nächsten Schritt geheilt werden. Wie ernst BGE und BASE mit Transparenz und Beteiligung wirklich meinen? Werden wir sehen…

Zur Person

Ingrid Lohstöter wurde 1950 geboren. Sie studierte Jura und arbeitete als Rechtsanwältin für Frauen und Mädchen. Sie arbeitete und engagierte sich in verschiedenen Berliner Frauenprojekten. Zusammen mit anderen feministischen Rechtsanwältinnen und dem Juristinnenbund initiierte sie verschiedene Verordnungs- und Gesetzesvorhaben zur Stärkung der Rechte von Mädchen und Frauen. Nach diversen Weiterbildungen begleitete sie Mädchen und Frauen in ihren Selbstheilungsprozessen mit körperorientierter Psychotherapie. Später leitete sie Musik- und Rhythmusgruppen im Alten- und Pflegeheim. 2015 und 2016 engagierte sie sich mit der Bürgerinitiative „Angeliter Bohren nach“ als Pressesprecherin und Juristin gegen die geplante Suche und Förderung von Erdöl. 

Veröffentlichungen

1984 „Väter als Täter – Sexuelle Gewalt gegen Mädchen“- zusammen mit der Sozialwissenschaftlerin Barbara Kavemann das erste Sachbuch zu dieser Thematik in der BRD. 

1985 im 6. Jugendbericht „Alltag und Biographie von Mädchen“ ebenfalls mit Barbara Kavemann „Plädoyer für das Recht von Mädchen auf sexuelle Selbstbestimmung. 

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