Seit 1976 der Atomkraft erfolgreich den Kampf angesagt

Ich-Protokoll

Polizeigewalt, Festivalstimmung auf den Schienen, Niederlagen und unglaubliche Erfolge im Kampf gegen Atomkraft: Wolfgang Ehmke ist Anti-Atom-Aktivist der ersten Stunde. Seit 1976 engagiert er sich gegen Atomkraft und begleitet nun auch den Prozess der Endlagersuche. Was motiviert ihn? Ein Ich-Protokoll, aufgezeichnet von Mareike Andert 

Wolfgang Ehmke rollt ein marodes Atommüllfass am 27.08.2016. Gerade war bekannt geworden, dass in dem Fasslager - das steht direkt neben der Castorhalle - Rostfässer entdeckt wurden und er demonstrierte mit anderen vor dem Tor des Zwischenlagers.

Im Herbst 1976, ich war 29 Jahre alt, schleppte mich meine damalige WG mit auf die erste Demonstration gegen ein Atomkraftwerk in Brokdorf. Ein Bild von dieser Demonstration hat sich mir bis heute eingebrannt: Auf der Wiese vor dem Atomkraftwerk stand ein Pastor im Talar und demonstrierte. Dann kamen berittene Polizisten und ritten ihn einfach um. Ich war fassungslos. Mich ließ das Thema Atomkraft seitdem nicht mehr los: Warum zeigt der Staat hier solche Härte? Ich fing an Bücher zu lesen und mich einzuarbeiten, mich schlau zu machen. Ich merkte, wie gefährlich diese Technik ist und wieviel sie mit dem Krieg zu tun hat – ich hatte Angst vor einem Atomkrieg. 

Im Februar 1977 kam dann der Anruf meiner Eltern: Gorleben wird Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum. Plutoniumfabrik. Brennelementefabrik plus Endlager. Plötzlich ging es auch um meine Heimat. Meine Großeltern lebten dort und ich hatte große Teile meiner Kindheit dort verbracht. Das Lesen und das Wissen, das ich mir angeeignet hatte, waren für den Kopf. Plötzlich kam das Herz dazu: Ausgerechnet meine Heimat soll den Atommüll lagern, der Ort meiner Kindheit. Das motivierte mich, mich noch mehr in das Thema reinzuhängen – bis heute. Ich stecke sehr viel Zeit rein, aber bekomme auch viel zurück. 

Mein Engagement verbinde ich mit Freundschaften, Verbundenheit, Nervenkitzel, Feuertonne und Festivalstimmung. 

Wolfgang Ehmke protestiert mit anderen jungen Menschen 1979 gegen die Errichtung der Bohrstelle 1003 bei Gorleben. Fotograf Wolfgang Hain

Wir tanzten auf den besetzten Schienen, ich fühlte mich lebendig. Ich blockierte Castortransporte, Schienen und Zwischenlager, demonstrierte und machte Widerstandspicknicks. Auch heute gibt es noch Demonstrationen, aber der Fokus meiner Arbeit hat sich verschoben: Im Moment bin ich vor allem auf Konferenzen, halte Vorträge oder schreibe Artikel. Natürlich mache ich auch Sprühaktionen mit oder gerade jetzt war ich mit auf dem Kreuzweg von Gorleben nach Garzweiler mit dabei. Außerdem mache ich Pressearbeit für unsere Bürgerinitiative (zur Website der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg). 

Natürlich gab es auch negative Erfahrungen wie Repressionen. Ich habe immer Glück gehabt, wurde nie von der Polizei verprügelt. Aber einmal wegen Hausfriedensbruchs verurteilt, weil ich einen Platz mit besetzt habe. Dann Niederlagen: Als in den 80ern hochradioaktiver Müll in Gorleben eingelagert wurde, war ich niedergeschlagen. Der Schwung war raus, alles schien verloren. Dann geschah die Katastrophe in Tschernobyl, dann Jahre später in Fukushima. Das Leid, die Desaster brachten die Menschen zum Nachdenken. Nur Argumente haben leider nicht gereicht. Es bedrückt mich, dass es die Katastrophen gebraucht hat, um unsere Ziele zu erreichen. 

Als Atomkraftbewegung können wir unglaubliche Erfolge verzeichnen: Gorleben als Endlager ist nicht mehr im Rennen, da es, wie wir immer gesagt haben, wissenschaftlich nicht geeignet ist. Außerdem haben wir erreicht, dass die Atommülllagerung etwas sicherer wurde mit der Zeit durch unseren Druck: Die Hallen der Zwischenlager haben nun dickere Wände und die Deckelsysteme sind verbessert worden und letztlich natürlich das sicherste: der Ausstieg. Keiner hat geglaubt, dass eine soziale Bewegung so etwas bewirken kann. Wir haben Unglaubliches erreicht. 

Das Wendland war konservativ, die CDU sehr stark. Das veränderte sich auch: Es war großartig zu sehen, wie wir ein neues politisches Klima schafften. 

Der Widerstand war und ist identitätsstiftend für das Wendland. 

Ich bin optimistisch und unbesorgt aus Erfahrung, dass sich auch jetzt und in Zukunft wieder Leute und gerade auch junge für die Atomkraft und Atommüll interessieren und sich im Suchprozess um ein Endlager engagieren werden. Momentan zeigt sich das Beteiligungsparadoxon: Über 50 Prozent Deutschlands ist in der Auswahl für ein Endlager, da kann sich keine Betroffenheit entwickeln. Für viele Menschen ist das Thema jetzt noch abstrakt und weit weg. Trotzdem gibt es bereits lokale Reaktionen auf den ersten Zwischenbericht der Bundesgesellschaft für Endlagerung. Zum Beispiel im Emsland sind die Leute aufgewacht. An Gorleben ist der Kelch vorbeigegangen, aber die Region ist mit Tongebieten weiter im Rennen. Sobald obertägig erkundet wird, wird die Bedrohung deutlich, dass die eigene Region für ein Endlager ausgesucht werden könnte. Spätestens wenn es dann um die Wurst geht, werden sich die Leute engagieren. 

Ich möchte Mut machen, sich zu beteiligen und mitzumischen im bereits begonnenen Suchverfahren. Schaut euch das Verfahren an, nutzt die Mitgestaltungsmöglichkeiten, wo es keine gibt, klagt sie ein. Es ist wichtig, früh einzusteigen und den Prozess zu begleiten 

In der Vergangenheit waren wir Atomkraftgegner und -gegnerinnen in der Fundamentalopposition, wir wollten den Atomausstieg. Jetzt steht dieser fest – ein großes Etappenziel. Für den Endlagersuchprozess ist die Ausgangslage nun eine andere: Der Müll ist da und wir brauchen ein Endlager. Ich möchte die Menschen überzeugen, sich konstruktiv einzumischen. Bloß destruktiv dagegen sein, reicht jetzt nicht mehr. Aus wissenschaftlicher Sicht muss der beste Ort gefunden werden – in einem transparenten und partizipativen Verfahren. So dass es für alle nachvollziehbar ist, warum ein Ort ausgewählt wird. 

Meine Befürchtung ist jedoch, dass Länderinteressen und Parteiegoismen die Oberhand gewinnen. Momentan erlebe ich leider ein Ost gegen West, ein Nord gegen Süd, das darf nicht sein. Die Wissenschaft darf nicht unter die Räder kommen 

Das Thema Atommüll ist so facettenreich. Da ist für jeden und jede was dabei.

Fachfreaks können sich in die Sicherheit der Gesteinsarten einarbeiten. Andere können sich mit der Frage beschäftigen, wie das Wissen über Atomkraft, den gelagerten Müll und seine Gefahr über eine Millionen Jahre aufrecht gehalten werden kann. Wie können wir die Nachwelt warnen? Es könnten Plakatwettbewerbe oder Zeichenwettbewerbe stattfinden, Songs können geschrieben werden. Die Kreativküche ist momentan noch geschlossen, aber jeder kann sich mit seiner Fähigkeit einbringen.  

Warum? Atommüll ist unfassbar lange gefährlich. Es ist eine unglaublich große gesellschaftliche Verantwortung, den Müll sicher zu lagern. Die Jüngeren können sauer sein auf die Alten, die das zugelassen haben. Immerhin haben wir erreicht, dass es nun vorbei ist. Die Hinterlassenschaften werden aber viele Generationen betreffen. 

Wegducken geht nicht. Neben der Klimakatastrophe ist der Atommüll das zweite große Zukunftsthema. Diese Themen können niemanden ruhig lassen.  

Klima und Atomkraft haben miteinander zu tun. Einige Kräfte versuchen, Atomenergie als klimafreundlich darzustellen und wieder salonfähig zu machen. Das ist falsch. Atomkraft ist nicht CO2arm, denn zum Reaktorbetrieb kommen der Uranabbau und die Endlagerung, die in die Bilanz mit eingerechnet werden müssen. Da müssen wir höllisch aufpassen. Atomkraft ist gefährlich, es können Katastrophen passieren. 

Oft muss ich an die Liedzeile der Band Tocotronic zurückdenken: „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ – ja, damals war ich Teil einer Jugendbewegung. Die Schülerinnen und Schüler sind einfach weggelaufen aus der Schule, an der ich Lehrer war, auf die Schienen und Straßen, um Castortransporte zu blockieren. Das war ähnlich wie heute die Schülerinnen und Schüler, die zu Fridays for Future Demonstrationen gehen. Sie legen den Finger an die wunden Punkte.  

Ich appelliere: Junge Leute seid wachsam, mischt euch ein. Behaltet auch das Atomthema im Blick! Sonst müssen wir wieder erleben, dass der Ort für ein Endlager irgendwie entschieden wird, ohne wissenschaftliche Basis. Wie bei Gorleben.

Wolfgang Ehmke zieht mit einem Info-Koffer von Dorf zu Dorf bei Gorleben, um für eine Demonstration zu mobilisieren und Unterschriften gegen eine Plutoniumfabrik in Gorleben zu sammeln, März 1977

Wolfgang Ehmke wurde 1947 in Gartow, Niedersachen, geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Germanistik und Romanistik an der Universität Hamburg. Er arbeitete als Lehrer an einer Hamburger Berufsschule und studierte später zusätzlich Interkulturalität. Von 2004 bis 2007 war er als Fachberater und Koordinator für Deutsch als Fremdsprache an der Deutschen Botschaft in Ankara tätig. Heute lebt er im Wendland, ist Dozent im Bereich der Sprachförderung für Migrant:innen, spricht bei Tagungen und veröffentlicht Artikel zu Energiepolitik, nuklearer Entsorgung, Bürgerbewegung oder Interkulturalität. 2019 veröffentlichte er den Roman: “Der Kastor kommt! Eine Beziehungsgeschichte”.

Die Fotos (sw.) wurden uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Gorleben Archiv e.V.

Angebot zur Vertiefung: Lesung von und Diskussion mit Wolfgang Ehmke über seinen Roman "Der Kastor kommt! – Eine Beziehungsgeschichte" hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. Hier geht es zum Beitrag in der bpb-Mediathek. 

Bild entfernt.Was wäre geschehen, wenn Ende der 70er Jahre die WAA in Gorleben trotz des Widerstands in der Region dennoch gebaut worden wäre? Deutschland wäre wie Frankreich ein „Nuklearland“ geworden. Hätte man sich dann vorstellen können, dass Jahrzehnte später, nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima Daiichi, der Atomausstieg energiepolitisch möglich gewesen wäre? Das neue Buch von Wolfgang Ehmke beleuchtet den Beitrag des Wendlands zur Energiewende und die „besondere Rolle“ von Gorleben in der Auseinandersetzung um die Atomkraft.
Mehr zum Buch "Das Wunder von Gorleben".